Kaum jemand kennt heute den 1679 in Apulien geborenen Komponisten Domenico Sarro; ganze drei Einträge einzelner Arien und Instrumentalstücke listet Bachtracks Review-Datenbank bisher. Ganz anders bei Pietro Metastasio, der als Schauspieler und Improvisator aufwuchs und dessen erstes Libretto, ein damals sehr populäres Opern-Textbuch Didone abbandonata (Die verlassenene Dido), von eben diesem Domenico Sarro 1724 erstmals vertont wurde. Für Metastasio ein Durchbruch auf Bühnen von Neapel bis Wien; dem folgten noch etwa 60 zeitgenössische Vertonungen. Mit La clemenza di Tito gab er nicht nur Stoff für Antonio Caldara, sondern später auch für Mozarts Komposition. Die Aufmerksamkeit für Sarro ebbte nach dessen Tod schnell ab.
Zum 200. Geburtstag des Meininger „Theaterherzogs“ Georg II. hat die Leitung des südthüringschen Staatstheaters nun ein Juwel aus der herzoglichen Musikaliensammlung geborgen: genau diese Oper des Neapolitaners Sarro, voll von virtuoser und gefühlvoller Musik. Aus Wien hatte Georgs Urgroßvater eine Abschrift in die Sammlung nach Meiningen gebracht. Jahrhundertelang unbeachtet, wurde die Oper 2005 in Teilen konzertant im Meininger Schloss Elisabethenburg aufgeführt. Erstmals szenisch komplett ist sie nun in Deutschland zu erleben.
Dido und Aeneas, beide aus ihrer Heimat geflohen, begegnen sich in Karthago, wo die Königin Dido den gestrandeten trojanischen Helden aufnimmt. Eine kurze leidenschaftlicher Liebe erfasst beide; doch Aeneas will Dido verlassen, da ihn der Auftrag seines Vaters, in Italien ein zweites Troja zu gründen, nicht loslässt. Mit allen Mitteln versucht Dido, ihn aufzuhalten, macht ihn eifersüchtig in einer scheinbaren Affäre mit Iarba, König der Mauren. Obwohl Aeneas’ Entschluss dadurch ins Wanken gerät, entscheidet er sich, den Auftrag der Götter und seines verstorbenen Vaters zu erfüllen. Da Dido auch dem Werben Iarbas nicht nachgibt, setzt dieser Karthago in Brand.
Während in der früheren Dido, bereits 1688 von Henry Purcell auf ein Libretto von Nahum Tate komponiert, viel zauberhafter Spaß mit Göttinnen und Hexen in den Vordergrund rückt, stehen bei Sarro perfekt ausgefeilte Dreiecksbeziehungen im Mittelpunkt, zu denen Iarbas Vertrauter Araspe, Didos Schwester Selene und eine intrigierende Osmida beitragen, die wie eine Doppelagentin beide Seiten ausspäht und zu eigenem Vorteil verrät. Aber auch Dido kann in dieser Oper selbstbewusst und berechnend sein, wenn sie etwa auf offener Bühne mit den Gefühlen von Aeneas wie Iarba jongliert.
Auf einen wie in Barockopern oft vielbeschäftigten Chor hat Sarro verzichtet; die im Original vorgesehene Schlachtszene hat Regisseur Dietrich W. Hilsdorf herausgeschnitten. So konzentrierte Hilsdorf den Stoff fast wie ein Kammerspiel auf sechs Personen, die sich, in Kostümen von Christian Rinke aus der Entstehungszeit der Oper im 18. Jahrhundert, in einem einzigen Raum treffen, der mit imposanten Wandgemälden die Weite von Küste und Meer vor Karthagos Mauern suggeriert, mit wenigen Requisiten eines zentralen Holztisches und einer seitlichen Galerie von Schminkspiegeln den Blick frei hält für die Achterbahn aufprallender Gefühlsregungen. Hilsdorf sieht in dem Werk nicht allein eine Oper, sondern im Kern sogar ein Schauspiel, das bei den Solisten in entsprechend intensivem Rollenverständnis der gestischen wie stimmlichen Darstellung zu bewundern war und oft bis aufs Äußerste psychologisch ausgereizt wurde.