1906 feierte Ethel Smyths dritte Oper The Wreckers (unter den Namen Strandgut) ihre Premiere in Leipzig. Vom Publikum gefeiert, doch von der Komponistin aufgrund zahlreicher unautorisierter Kürzungen verschmäht, verschwand das Stück nach zwei Aufführungen mit wenigen Ausnahmen von den Spielplänen dieser Welt. Fast 120 Jahren später wagen sich gleich drei deutsche Opernhäuser in dieser Saison an die Wiederentdeckung des Werkes. Neben Karlsruhe und Schwerin auch das Staatstheater in Meiningen.
Es peitscht, saust und braust im historischen Haus in der Heimat des Theaterherzogs Georg II von Sachsen-Meiningen. Eine große Seefahrtsoper irgendwo zwischen dem Fliegenden Holländer und Peter Grimes hat Smyth auf die Bühne gebracht. Die Geschichte ist recht schnell erzählt: An den steilen Küsten Cornwalls machen die Bewohner*innen eines kleinen Dorfes sich ihr eigenes Recht. Um Armut und Hunger zu überwinden, wenden sie sich dem Meer zu und werden zu „Wreckers“. Schiffbruchmachende. Sind die mahnenden Lichter des Leuchtturms gelöscht, verirrt sich so manches Schiff an die nahegelegenen Strände und wird sogleich von den Dorfbewohner*innen mit wenig Rücksicht auf dessen Besatzung geplündert. Als sich Widerstand durch zwei Liebende regt, ist auch ihr brutales Ende fest besiegelt.
Smyths Oper, nach einem Libretto von Henry Bennet Brewster, ist eine Geschichte von Leuchtfeuerlöschern und Brandstiftern, von vermeintlich Gerechten und rücksichtslos Richtenden. Sturmerprobt zeigt sich dabei vor allem die Meininger Hofkapelle unter der Leitung von Christopher Važan, der seit der Premiere im vergangenen Herbst die Leitung von Generalmusikdirektor Killian Farrell übernommen hat. Tosend, wogenschlagend aber dennoch feingliedrig und filigran zeigen Orchester und Dirigent, was in der reichhaltigen und dennoch vom ersten Hören an zugänglichen Partitur der britischen Komponistin steckt. Tropfen für Tropfen schürfen sich nach dem Gold dieser Komposition und enthüllen so anpackend-mitreißend den Schatz im Wrack der „Wreckers“.
Währenddessen verläuft die Geschichte des Librettos, hier aufgeführt in deutscher Übersetzung von John Bernhoff, nicht immer stringent, verirrt und verwirrt sich. Wer nach der Motivation von Fischer Marc und Priester-Gattin Thurza für das widerständliche Entzünden von warnenden Lagerfeuern sucht, droht in dicken englischen Nebelschwaden verloren zu gehen. Nur eines scheint sicher: Wahres Gut und Böse gibt es hier nicht. Regisseur Jochen Biganzoli verwehrt sich der cornwallschen Dorfkulisse vollends. Stattdessen baut er, mithilfe des Bühnenbildes von Alexandre Corazzola, eine ganz eigene Welt, in der die Dorfbewohner*innen nicht nur dank eines milchglasigen Kubus in ihrer eigenen Blase leben. So will er eine sich immer weiter fortschreitende Radikalisierung der Gesellschaft zeigen, erleidet allerdings sanften Schiffbruch. Zum Glück ist im Thüringer Wald das Meer so fern, dass die Inszenierung am Ende nicht vollends in den Fluten versinkt.
Statt die Ursprungs- oder eine gänzlich neue Geschichte zu erzählen, wird die Radikalisierung in weiten Teilen lediglich durch immer wieder auf den sich drehenden Milchglaskubus geschriebene Wortfetzen und Parolen angedeutet. Was mit „Hunger“ beginnt, steigert sich über „Sünde“, „Schande“ und „Verräter“ zu „Ausländer raus“ und endet schließlich mit „Wer versucht uns zu richten, den werden wir richten“ und „Der Sturm bricht los“. Dabei ist sich zumindest diese Zusehende nicht immer sicher, ob es sich lediglich um Äußerungen der Dorfbewohner*innen handelt oder auch Kommentierungen durch Dritte darstellen soll. Zumindest verdecken die Gedanken darüber, dass auf der Bühne sonst über weite Strecken sängerfreundliches Rampensingen stattfindet. Zum Ende allerdings schwingt sich die Inszenierung zu einem wirklich starken Bild auf: Radikalität ist, wenn Nuance fehlt – und so entscheidet das Volk am Ende über den Tod von Thurza und Marc in römischer Manier mit einem Daumenschwenk.
Der Daumen nach oben geht dabei eindeutig für das Sänger*innenensemble des Abends. Allen voran gibt Karis Tucker, die die Partie bereits in Glyndebourne und konzertant in Berlin sang, eine feurig-leuchtende Thurza. Nobel-einfühlsam an ihrer Seite klingt Alexander Geller als ihr Geliebter Marc. Tomasz Wija gestaltet ihren Ehemann und geistlichen Führer der Gemeinde Pasko stimmkräftig und erstaunlich mehrdimensional. Locker mithalten kann auch Emma McNairy mit glänzenden Tiefen und gleißendem Höhen als Avis. Mark Hightower als gerissener Leuchtturmwärter Laurent komplettiert den Reigen der größeren Einzelrollen.

Ihnen gegenüber steht der Chor des Staatstheaters Meiningen als meuternde Menge, die im Herz von The Wreckers steht. Schlank, beweglich und dennoch kraftvoll singt das Meininger Chorensemble, das von Roman David Rothenaicher hervorragend vorbereitet wurde. So bleibt nur zu hoffen, dass dieses Stück zukünftig häufiger seinen Weg von der englischen Küste in den Thüringer Wald – und weit darüber hinaus – findet.