Fake oder nicht Fake – das ist in dieser Oper stets die Frage. Um ihren Sohn Nerone (aus erster Ehe) auf den Thron zu hieven, ist der Kaiserin Agrippina jedes Mittel recht. „Betrug, verlass mich nicht” ist ihr Motto, Manipulation mittels Lüge ihr Mittel. Und Barrie Kosky braucht in seiner Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper nicht einmal Parallelen zu lebenden Personen zu ziehen, das Libretto bietet allein genug Gelegenheit, derartige Methoden bühnenwirksam aufzuspießen.
Was am römischen Kaiserhof gang und gäbe gewesen sein mag und zur Zeit Händels ebenfalls wohl nicht unbekannt, hat Kosky in seiner brillanten Regie ins Heute geholt. Strategische Kommunikation nennt man heute, was Agrippina perfekt beherrscht. Mit teuflischer Schläue streut sie ihre alternativen Wahrheiten, spielt die Leute gegeneinander aus, heuchelt wenn nötig Wohlwollen oder setzt unter Druck, wenn sie anders nicht weiterkommt. Eigentlich eine verachtenswerte Person, aber eine Opernfigur eben aus dem prallen Leben: zielstrebig, wendig und berechnend.
Alice Coote füllt diese Rolle großartig aus. Alle Facetten ihrer Figur beherrscht sie mit reichen Vokalfarben. Schmeichlerisch, mit eindeutig zweideutiger Erotik kann sie säuseln, wenn sie die beiden Hofschranzen Pallante und Narciso für ihre Zwecke einspannt, scharf und giftig verspottet sie den eigentlich für den Kaiserthron bestimmten Ottone und wie berauscht kann sie überschnappen, wenn sie sich einem Erfolg nahe glaubt.
Nicht nur in den facettenreichen Arien, vor allem in den Rezitativen kochen in dieser Aufführung immer wieder die Emotionen hoch. Koskys subtile Personenregie spitzt die Situationen präzise zu, lässt die Figuren wie im Kammerspiel agieren. Um ihrem Mann Kaiser Claudio (Gianluca Buratto) die Entscheidung abzuringen, Nerone zum Kaiser zu machen, nutzt sie nicht allein die geschickte Rhetorik des Textes, sondern baut durch eine vielsagende Pause, dann geflüstertes Fragen die Spannung dermaßen auf, dass Claudio nicht mehr zu widersprechen wagt.
In Agrippinas Spiel sind in dieser Oper alle Betrogene, aber auch fast alle selbst Betrüger, weil sich jeder irgendwelche Vorteile erhoffen kann. Wie etwa Poppea, die von gleich drei Verehrern umschwärmt wird. In ihrer Auftrittsarie erleben wir sie gleichermaßen selbst- wie luxusverliebt. Die stimmlich wie darstellerisch fulminante Elsa Benoit ließ hier mit sanften Trillern lautmalerisch die Perlen glänzen, von denen sie singt. Der Mann ihres Herzens ist Ottone, der einzige edle Charakter dieser Oper. Umso übler wird ihm mitgespielt. Als Betrüger hingestellt, aber völlig unschuldig wird er sogar noch verprügelt. Der Countertenor Iestyn Davis sang das darauf folgende Lamento mit herzzerreißender Traurigkeit.