Der Konzerttitel war eine durchaus spannende Ansage: Il Maestro e Margherita! Da kam doch Michail Bulgakows gleichnamiger Liebesroman in den Sinn, Ennio Morricones prickelnde Musik zur Kinoverfilmung 1972 durch Aleksandar Petrović mit dem beliebten Ugo Tognazzi in der Hauptrolle. Führt die Spurensuche der diesjährigen Hallenser Festspiele über den „Jungen Händel in Italien” gar in dieses Genre? Würde Anna Bonitatibus mit dunkel glühender Mezzosopran-Vocalise diesen musikalischen Klassiker veredeln? Immerhin ist Georg Friedrich Händel unverdächtig des geheimen Austauschs mit Morricone, und Bonitatibus ordnete im morgendlichen Festkonzert der Händel-Gesellschaft schnell die versteckten Anspielungen und Beziehungen: zwischen Maestro Händel und seiner Lieblingssängerin Margherita Durastante, wohl ebenfalls 1685 geboren, für die er als 21-jähriger in Rom einen Großteil seiner Sopranpartien schrieb. Mit ihr arbeitete er sogar später am Londoner King’s Theatre noch zusammen, für Arien in Radamisto und Flavio etwa.

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Anna Bonitatibus
© Thomas Ziegler

Im Palazzo Bonelli des Francesco Maria Ruspoli traf sich die römische Oberschicht zu Konversation, Kartenspiel und natürlich Musik. Der Hallenser Händel machte als Cembalist und Komponist Eindruck, Margherita als Sängerin, die sogar musikbegeisterte Kardinäle in Rom hoch schätzten; zwei Geiger komplementierten das kleine Ensemble. Und selbst wenn Bonitatibus und ihr Cembalist Mahan Esfahani nun anfangs versicherten, ihr Konzert in der Leopoldina in Halle sei nur eine hypothetische Rekonstruktion einer Probe um 1707: genauso hätte sie damals wirklich stattfinden können.

Die geistliche Kantate HWV 92 Donna, che in ciel dürfte wohl zu den frühesten römischen Kantaten Händels gehören, die heute leider zu selten musiziert werden. Sie fällt in die Zeit eines Erdbebens in den Abruzzen, das Hunderte von Toten forderte. Ihr Text ist eine Betrachtung der Angst vor der Naturgewalt und die flehentliche Anrufung Mariens, Rom von Schäden zu verschonen. Im Rezitativ malte Bonitatibus mit vollem Brustregister die Wucht des verheerenden Schlags, in der Arie Vacillò wendete sich der Schauder zu Mariens liebevollem Blick und die Abwendung des Unglücks, die Bonitatibus herrlich koloraturenreich ohne Anstrengung als Glücksgefühl nach den dunklen Wolken des Zorns deutete.

„Ich bin ein Schifflein“: die Arie aus Händels Kammerkantate Lungo da mio bel nume ist wiederum geprägt durch Hörbarmachung des Texts, wenn vom schwankenden Schifflein inmitten des wütenden Meeres die Rede ist. Drastisch schleuderte Bonitatibus hier die Ausrufe voller Furcht heraus, das Wüten der Winde. Esfahani untermalte mit geschwinden, ja gemeißelten Läufen am Cembalo Furor und Turbulenz des schwankenden Schiffsbodens.

Mahan Esfahani und Anna Bonitatibus © Thomas Ziegler
Mahan Esfahani und Anna Bonitatibus
© Thomas Ziegler

Dass Händel bei den Soiréen sicher auch mit eigenen Cembalowerken glänzte, machte Esfahani mit einem locker perlenden Capricchio sowie einem ausdrucksvollen Larghetto hörbar: sein Zusammenspiel aus freiem improvisatorischem Schwung und polyphoner Liniengestaltung ließ die großartigen Pretiosen des frühen Händel auch in Halle aufblitzen. Deren Esprit und Frische kostete Esfahani derart aus, dass man zwischen Erstaunen und Vergnügen hin und her gerissen wurde. Auch in den Variationen von Händels Suite HWV 47 begeisterte die Ausgeglichenheit zwischen seiner Akribie formaler Abläufe und der Eloquenz in der Gestaltung der thematischen Wandlung.

Selbstverständlich kamen auch Werke anderer Komponisten im Palazzo Bonelli zur Aufführung. In Alessandro Scarlattis Il giardino di rose wird das Zusammenwirken von Liebe, Hoffnung, Buße und winterlichem Nordwind besungen; in der Arie der Hoffnung sind es die sanften, einschmeichelnden Tönungen, mit denen Bonitatibus den Windhauch umwarb, das Herz doch noch sanfter zu umsäuseln, die Wellen nur noch murmeln zu lassen.

Die Kantate HWV 105 Armida Abbandonata ist eines der umfangreicheren Werke Händels aus dieser Zeit, in dem sich die sarazenische Zauberin Armida über ihre Liebe zum Kreuzritter Rinaldo Gedanken macht. Stoff genug für Bonitatibus, als stimmlich angenehm reife, nachdenkliche Armida die Zuhörer zu verzaubern, dunkles Timbre und Beweglichkeit ihres Mezzosoprans mit lyrischen Farben und Charakter zu vertiefen. Trotz sprudelnder Koloratur beeindruckte sie immer wieder in ausgedehnten, sensiblen Spannungsbögen, wusste in weicher Wendung die Liebesgottheit zu überzeugen: ein sphärisch filigranes „Nume d’amore“. Ganz großes Kino für die Ohren!

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