Man muss kein glühender Freund von Festivalmottos sein, um den scheinbar banalen, aber sinnfälligen, verbindenden, sich quasi aufdrängenden Charme jener umgedrehten Reger-Überschrift diesjähriger Thüringer Bachwochen zu würdigen: „Ende und Anfang aller Musik“. Denn neben der offensichtlichen Anzeige des Festivals, nach zwanzigjähriger Amtszeit Christoph Dreschers mit Carsten Hinrichs in die neue Intendanz zu gehen und dabei den im Kultursektor überall lauernden Kürzungsvorhaben gewappnet zu sein, bleibt der Programmwahlspruch natürlich inhaltlich dem äußeren Anlassraum und allem Bach‘schen Drumherum seiner Zeit verhaftet. Jener um Ostern, also Tod und Auferstehung, Trauer und tröstliche Hoffnung des himmlischen Weiterlebens, mithin musikalische Grundnahrung. Zum offiziellen Eröffnungskonzert intonierte dafür das Collegium & Collegium Vocale 1704 unter Gründungsdirigent Václav Luks Werke Johann Sebastian Bachs und zwei dessen höchstgeschätzten Verwandten, des Großcousins Johann Christoph und des „Meiningers“ Johann Ludwig.

Durch sie zog sich die tiefgläubige Zuversicht an die neue Zeit, das kommende ewige Leben, die Erlösung vom weltlichen Schmerz, die Luks wie einen roten Faden spürbar einleuchtend und energiegebend als schnell herbeigesehnte Verheißung feierte. Für das Tempo bedeutete es also, meistens mächtig auf die Tube zu drücken und für das erhoffte Einziehen ins Himmelreich Gottes sogar ein bisschen Rekordjagd zu betreiben. So erschien J. Chr. Bachs Aria Es ist nun aus mit meinem Leben eben äußerst zügig; viel flotter – genau genommen – oder flüssiger als üblich, wie die gedanklichen und faktischen Übergänge, doch waren die von Sopran Pavla Radostová lieblich-warm, dabei klar und entschlossen abgesetzten zentralen Verse „Komm, Todestag, du Lebenssonne, du bringst mir mehr Lust und Wonne, als mein Geburtstag bringen kann, du machst ein Ende meinem Leben“ wegweisender Ausdruck der nicht bleiernden Seligkeit zu allen Plagen, musikalisch-euphorischer Fixstern des affektstarken, nie gehetzt erscheinenden Mit-sich-im-Reinen-Seins.
Davon zeugten auch seine Motetten Der Gerechte, ob er gleich zu zeitlich stirbt, die durch Luks‘ anspringenden Optimismus sehr aufgeräumt wirkte, und Fürchte dich nicht, aus der jeder vermeintliche Staub des beschwichtigend oder zum Selbstschutz gewohnt Dahergesagten, alles antiquarisch Anhaftende, jede gleichwohl ängstlich nachvollziehbare Larmoyanz, ganz modern und rasant, in großartiger Locker- und bedingender Beweglichkeit des Collegium Vocale 1704 herausgeschüttelt wurde. So ebenfalls J. L. Bachs Beispiel Das ist meine Freude, bei der die generell betont-phrasierte Lebendigkeit seine höchste Stufe erklomm. Zudem – wie bei Christoph und Sebastian mit einer Dramatik, wovon nur leicht uninspiriertere, lukstypisch knappe Satzenden ausgenommen waren, die mit deklamatorisch resoluter, licht-verständlicher Textlichkeit und mittels der unterstützenden, geeigneten Akustik der Margarethenkirche der 1250 Jahre begehenden Stadt Gotha mit instrumentaler Fülle, Atemfrische und Biss aufwartete.
Bei J. S. Bachs Kantate Wachet! betet! betet! wachet! insbesondere, in der man sich von der akkuraten, genauso konsequent leichten wie kräftig einschlagenden, prägnanten, choralhomogenen Klang- und Aussprache überzeugen konnte, der auch die Solisten hervorragend gewachsen waren. Neben geschmeidig phrasierendem Sopran Tereza Zimková, stilistisch sehr angenehmem Mezzo Bernadette Beckermann und hellem Tenor Matúš Šimko der durch Abbildung beider Welten, unerschrockener Jesuspfad und schreckliches jüngstes Gericht, herausgehoben kontrastversierter, stattlicher, nach zuvor aufgezähltem mithin nie übersteuerter Bariton Tomáš Šelc.
Das bestechende Solo-Quartett, allerdings nun Beckermann gegen Daniela Čermáková getauscht, positionierte sich für Luks‘ effektiven Einfall, den Dialog des ebenfalls strikt flotten zweiten Teils der eingangs hurtigen Motette Singet dem Herrn ein neues Lied räumlich zu verdeutlichen, im hinteren Kirchenschiff. Hatten davor noch Komm, Jesu, komm sowie die beiden Sinfoniae zu BWV196 und BWV4 selbstverständlich trost- und hoffnungsbeschienene, gleichsam andächtig-anmutige Themenlinien gezogen, dürfte bis in diese hintersten Reihen die Resonanz des Basses des Collegium 1704, vornehmlich durch Kontrabass und vorzügliches Fagott, zu vernehmen gewesen sein, die durch den Holzboden fuhren. Nicht anders zu erklären, dass das Publikum sprichwörtlich durch die Bank auch mit Füßen Applaus zollte für diesen Bachstrom, den Luks und Ensembles zu einer fulminanten Eröffnung der Thüringer Bachwochen durch Geist und Glieder leiteten.