Leonore oder Coriolan? Egal, Hauptsache Beethoven! Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks überrascht das Publikum in dieser Saison mit jeweils einem Überraschungsstück, das erst nach der Aufführung angesagt wird. Dass Chefdirigent Mariss Jansons kurzerhand die Coriolan-Ouvertüre als Leonoren-Ouvertüre (vielleicht die 4. Version) ansagte, klärten die Musiker schnell und mit einer guten Portion Humor auf und zeigten dabei einmal mehr, dass die Stimmung zwischen Chefdirigent und Orchester des Bayerischen Rundfunks einfach stimmt. Und das hörte man dem Hauptwerk des gestrigen Abend, Mahlers Fünfter Symphonie, deutlich an.
Allerdings offenbarten die Musiker mit der Coriolan-Ouvertüre erst einmal eine unbekannte Seite an Gustav Mahlers Schaffen, denn bei dieser Aufführung handelte es sich um eine von Mahler bearbeitete oder „retuschierte“ Version, wie er es selbst nannte. Als hochangesehener Dirigent sah er es als seine Pflicht, alte Werke und besonders die Beethovens den neuen Klangmöglichkeiten und der gegenwärtigen Aufführungspraxis anzupassen. Dazu verdoppelte er zum Beispiel die Holzbläser, hob Melodielinien deutlicher hervor oder verschärfte Akzente und Dynamikanweisungen. Dass er dabei die musikalische Intention nicht veränderte, machten Jansons und das BRSO gestern deutlich. Trotz des riesenhaft wirkenden Streicherapparats verlor die Ouvertüre kaum an kraftvollem Ausdruck und war sehr präzise abgestimmt. Gleichzeitig wirkte das Werk merklich plastisch, da die verschiedenen Stimmen sich von einander abhoben und gleichzeitig zu einem homogenen Klang verschmolzen. Jansons arbeitete die lyrischen Passagen dabei mit viel Emotion aus, die bei dieser Besetzung bereits schon ein bisschen nach Mahler klangen.
Tiefschwarz und mit dunklem Klang begann das BRSO Mahlers Fünfte Symphonie, dessen erster Satz bei Jansons bereits in den ersten Takten offenbarte, dass er keine edle, glattgebügelte Interpretation anstrebte, sondern schonungslos aufwühlend die Klänge strömen ließ. Mit expressiven Ausbrüchen der Violinen und dem rauen Klang des tiefen Blechs beugte er einem belanglosen Schönklang vor und führte bereits mit dem Trauermarsch eine sehr tiefgründige Interpretation an. Denn neben die aussichtslosen Ausbrüche, die Jansons klanglich stark verband, gesellten sich, besonders im zweiten Satz, lyrische Melodien, die in ihrem großen Duktus eine gewisse Ruhe ausstrahlten.