Alles sollte sich in diesem Konzert der Bamberger Symphoniker um Brünn drehen, der Heimat ihres Chefdirigenten Jakub Hrůša, der Komponisten Petr Fiala und Leoš Janáček sowie der eingeladenen Mitwirkenden – mit der Glagolitischen Messe im Mittelpunkt. Doch Anreise und Auftritt des vielköpfigen Tschechischen Philharmonischen Chores Brno passten so gar nicht in die angespannte pandemische Lage.
So muss Hrůšas Herzensprojekt auf noch entfernte bessere Rahmenbedingungen warten, präsentierten doch hoch motivierte Bamberger anlässlich seines 125. Todesjahres mit Bruckners Neunter seinen letzten symphonischen Klangkosmos, und einen besonderen Höhepunkt zuvor: Elisabeth Kulman war bereits als Mezzosopranistin zu Janáčeks Messe eingeladen gewesen. „Zufall ebenso wie Glücksfall“ hatte sie in einem Facebook-Post die unvorhergesehene Programm-Änderung genannt, denn nun konnte sie zusammen mit Hrůša die Dramaturgie ihres finalen Programms maßschneidern, machten beide den letzten Auftritt in Kulmans überaus erfolgreicher klassischer Konzertkarriere zum mitreißenden Fest für ihre zahlreichen Fans.
Fast lautlos ließ Hrůša Giuseppe Verdis Vorspiel zum dritten Akt aus La traviata beginnen, zart aufkeimend, gezupfte Geigen wie Musik von Harfen, dann leuchtend im vollen Schmelz der Streicher, deren Vielzahl jedes Opernorchester im Graben übertrumpfte. Eine stimmige Einleitung, gleichsam als „Mors stupebit“ hinführend zum „Liber scriptus“ aus Verdis Messa da Requiem, das Elisabeth Kulman pianissimo fein einstimmte und mit großer Geste voll beeindruckender Stimmkraft in den Judex-Rufen weit öffnete: in vollkommenem Ausgleich ihrer hohen wie tiefen Stimmregister. Herrlich die pppp-düsteren „Dies irae“-Choreinwürfe, überraschend ungewohnt aus den Orchesterreihen, in deren Trauer sich ein leises Schmunzeln mischte!
Glaube und Trauerbewältigung nach dem Tod seiner Kinder sind auch Motiv in Antonín Dvořáks Stabat mater: Kulmans „Inflammatus“ wurde hier zur inständigen Bitte, zu fast marschartigem Gebet einer frommen Pilgerin.
Mit Pietro Mascagnis Intermezzo aus Cavalleria rusticana leitete Hrůša in einen weltlicheren Abschnitt: herrliche Streicherkantilenen der Bamberger, von Harfenarpeggien und Oboenrufen durchzogen, und elegant ausschwingend tänzerisches Tutti blitzten auf in dieser orchestralen Pretiose.
Die intim berührende Deutung von Richard Wagners Wesendonck-Liedern durch Kulman und der Camerata Salzburg in Henzes reduziertem Orchestersatz ist für mich unvergessen. Schmerzen und Träume, nun in der geläufigeren Orchestrierung des Dirigenten Felix Mottl, wurden in ihrer komplexen Tristan-Harmonik mit Kulman und Hrůša erneut zu zwingend beeindruckenden Augenblicken, zu imposantem romantischem Gefühlsrausch. Dabei war nicht nur Kulmans Textverständlichkeit (durchgängig ohne Notenblätter) und vom Wortsinn geprägte Akzentuierung einzigartig, sondern auch die Gestaltung ihrer Körpersprache, der Handbewegungen, fordernder Armschwünge, fragendem Kopfdrehen hinreißend.