Es gibt keinen November, Februar, März, April oder jenseits prädestinierter Anlasszeiträume auch anderen Monat des Jahres ohne eine Aufführung des Brahms-Requiems. Neben dem Wolfgang Amadeus Mozarts ist es zweifellos das meistaufgeführte und beliebteste Stück seiner Art. Wie es dieser Umstand dann so mit sich bringt, verdeckt es oftmals andere wunderbare Werke, was wiederum in positiver Gegenbewegung und Inspiration dazu führt, jene anderen Kompositionen ebenfalls – wenigstens ein-, zweimal – im Konzert unterzumischen.

Noch einen Schritt weiter ging Lionel Meunier gemeinsam mit Ricercar-Labelgründer Jérôme Lejeune, der das auch von ihnen geschätzte Brahms-Requiem zur Vorlage für ein zusammengestelltes Deutsches Barockrequiem nahm, wie es Johannes Brahms 1865 mit Heinrich Schütz' Psalmversen und Textreferenzen, die er 1864 aus seiner Bibliothek im Konzertsaal in Wien erklingen ließ, selbst tat. Eines allerdings, das sich nicht Brahms' Liebling neben Johann Sebastian Bach, Schütz, Vox Luminis' dagegen „übliche“ und dafür schon bekannte Grundnahrung, bediente, sondern unter Meuniers barocken Verhältnissen heute – exklusive des darunter am verbreitesten im Gedächtnis befindlichen Johann Hermann Schein – allzu unterbelichtete lutherische Ars-moriendi-Vertonungen eigens auf Schütz referierender Komponisten.
Andreas Scharmann, ein wirklich in Vergessenheit geratener Nürnberger, zum Beispiel, dessen Lamentation Gedenke Herr, wie es uns gehet den Anfang Meuniers Pasticcios markierte, mit dem der Amsterdamer Muziekgebouw dieses Jahr Bet- und totensonntaglichen Trauertag beging; und Vox Luminis‘ dortige dreiteilige Residenz in Anerkennung des zwanzigjährigen Ensemblebestehens einläutete. Scharmanns Werk erfüllte dabei das kyrie-anrufende Verlangen der irdischen Sünder nach Vergebung, das seine Unmittelbarkeit, sprich seinen durch Vox Luminis‘ warm-weiche Klangproduktion nahbaren und die Seele anfassenden Charakter, in erste erhörende Stimmen des mit göttlichem Glanz artikulierten Trosts durch Scheins dichteres, komplexeres, text- und dynamikpräsenteres Konzert Selig sind, die da geistlich arm sind aufgehen sah – trotz Zsuzsi Tóths da und andernorts leicht zu tiefer, im Tutti allerdings strahlend aufblendender Einsätze.
Jenem Konzert diente dabei Thomas Selles Sinfonia zu Und da der Sabbath vergangen war als Vorspiel des hervorragenden Instrumentalsconsorts aus zwei Violinen, Tenor- und Bassgambe, Violone und Truhenorgel. Seine umarmende und einfühlsame Tonalität konnte dieses – hier auch ohne Geigen – in Christian Geists schon originär eingebautem Intro zur fünfstimmigen, nun durch Ripienochor gedoppelten Psalmmotette Die mit Tränen säen entäußern, welche mit wiederum größerem harmonischem Ausdruck Vox Luminis‘ Vokalität die Grundessenz aus Anteilnahme und biblischer Verheißung fortführte. Von letzterer Versprechung weiter stärker erfüllt war Tobias Michaels „Seelenlust“-Motette Die Erlöseten des Herren, derer mit Wolfgang Carl Briegels Herr, lehre doch mich der sakraltypisch dramaturgische Rückfall aus Zweifeln sowie Vergänglichkeits-, Scheidens- und Trauerangst folgte, um ihm eine gesteigerte Erlösung und Zuversicht entgegenzusetzen. Er erfuhr dynamische Berücksichtigung und mit Andreas Hammerschmidts Ach wie gar nichts sind alle Menschen, von Schein im ehrfurchtsvoll strengen Ich will schweigen aufgegriffen, die mit Ernst und Glaubwürdigkeit versehene Demut.
Das Entgegensetzen mit Gottes Gerechtigkeit und verkündeter Erwartung himmlischen Friedens war zum einen Heinrich Schwemmer, einem weiteren heute unbekannten Nürnberger Musikus, und dessen Trauerlied Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand vorbehalten, in dem das Ensemble diesem Affekt mit dynamisch variierter und theatralischer, aber erfahrungsgemäß gruppenidentitär nie überzeichneter Text- und Klangexpression nachging. Zum anderen, nach Scheins Motette Wie lieblich sind deine Wohnungen, erneut Hammerschmidt und seiner Auferstehensandacht Der Tod ist verschlungen, in der Vox Luminis als füllige Capella samt vorne stehendem und verständlicherem Favoritchor aus Sophia Faltas, Alexander Chance, Jacob Lawrence und Sebastian Myrus lebendigst sowie auf Grundlage seines interpretatorischen Wesenskerns ein aus sich schöpfendes, offen-homogen schallendes, final volumen- und nachdruckerhöhtes „Victoria-Alleluia“ sang. Dieses wurde kontrastiert beziehungsweise in den Affekten und theologischen Botschaften zusammengebunden durch Selig sind die Toten Johann Philipp Förtschs, dem in Hamburg und Holstein Karriere machenden Komponisten, dem Vox Luminis zum Abschied – nun mit kleineren Intonationsschwankungen Erika Tandionos – besinnlich und gewohnt rund phrasierend die denkwürdige Ehre erwies.