Mit dem Haydn-Institut Köln quasi in der Nachbarschaft, ist es nicht verwunderlich, dass Andreas Spering mittlerweile der Dirigent in Deutschland ist, der die wiederentdeckten Raritäten des österreichischen Komponisten zu seinem repertoirischen Markenzeichen gemacht hat. Bringt er regelmäßig Haydns Opernschätze bei seinem Festival im Brühler Schloss Augustusburg zur neuzeitlichen Premiere auf historischen Instrumenten, stand dieses Jahr die 1968 partiturtechnisch aufgemöbelte, später in Zürich, dort in neuerer Zeit 2009 von Adam Fischer (gekürzte), einen Tag später in London von Trevor Pinnock jeweils auf modernem Gerät aus der Taufe gehobene La fedeltà premiata auf dem Plan. Diese lässt sieben handelnde Personen (sprich Möchtegernpaare) rund um den Tempel Dianas im verfluchten Idyll Cuma ernst und kaberettistisch um Liebe und Treue beziehungsweise um das Gegenteil wetteifern. Mit diesem Dramma pastorale giocoso wurde Spering mit seiner Capella Augustina erneut zu den Tagen Alter Musik in Herne eingeladen, die diesmal unter dem Festivalmotto „Tragisch – Komisch“ standen.

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Andreas Spering
© Thomas Kost

Als zugänglich im anderen, nämlich Haydn-hörerprobten Sinne erweist sich schon die Sinfonia der fulminant, in den Arien frei und generell höchst geschickt orchestrierten Oper, die vom Komponisten mal mit ungewöhnlichem Selbstlob bedacht wurde. Es ist der letzte Satz der – zu allem stimmig erwählten – vierten Jagd-Symphonie, die in die Szenerie um Schäfer, Nymphen und waldlich-adlige Brauchtumspfleger einleitet und von Sperings Capella Augustina mit solch hochkochender oder schattiger, jeweils emotional wandlungsfähiger, fanfarenpackender und turbulenter Energiegeladenheit gespielt wurde, dass sich im Gegensatz zu den zweifelnden und verzweifelten Liebesschicksalen der Figuren keine Sekunde die Frage nach der Aufrechterhaltung ihrer Vitalität und ihres durchblickenden Zurechtskommens über die gesamte Dauer stellte. Unermüdlich angespornt von Spering und Haydns vollem Brunnen naturalistischer, lautmalerischer und schmerzlicher Theatralik, verwandelte sie so die schwarze Bühne des Herner Kulturzentrums in erstaunlich dramatisch umsichschlagendem Zu- und in sich spiegelndem Leichtgriff in die schaurig-schönen, aufregenden Schauplätze von tierischer und menschlicher Jagd, filenisch-aufopferungsvollem Heldentum, derb-disputierlichem Wahnsinn sowie dem Ungeheuer und Ungeheuerlichen der erhofften oder flatterhafteren Amore. Und das – was eine mitnehmende Gestaltung besonders, eine konzertante umso mehr, ausmacht – erfreulicherweise eben nicht nur in den Arienformen und langen, mehrteiligen, im zweiten Akt mystisch-gefährlich Gluck nahekommenden Finali, sondern auch in den folglich lebhaft ausgeführten Dialogspielen.

Sophie Harmsen, Karolina Bengtsson und Ylva Stenberg © Thomas Kost
Sophie Harmsen, Karolina Bengtsson und Ylva Stenberg
© Thomas Kost

Die Gesangssolisten taten darin ihr balanciertes, zumeist entsprechendes, überzeugendes Werk, Haydns vehemente Wechsel und Librettist Giambattista Lorenzis Charaktere mit Leben zu füllen. Allen voran das im mythologisch-arkadisch-schlichten Verständnis gezeichnete Vorzeigepaar Celia und Fileno, die sich gegenseitig für tot halten, aber beim Wiederfinden (Celia ist von Fileno die in ewige Jagdgründe gegangen geglaubte Frau Filide) aus bekannten und für den anderen natürlich noch erst unbekannten Gründen doch nicht mit gewissen Kränkungsregungen sparen. David Fischer gab jenen aufrechten Hirtenburschen in seinen todeswilligen Lamenti oder bebenden Anwandlungen von genüsslicher, aber trotz Stolzes nicht zu überheblicher Heimzahlung dafür mit aller stimmlichen, deklamatorischen Klarheit, gestützter und umfangreicher, lichter und ergreifender Tonalität, so dass man ihm wahrlich mit dem Glück im Unglück überhäufen wollte, für das Karolina Bengtsson als schnittig-gütige Diana zum guten Ende in Erscheinung trat, die ansonsten die mit viel Tränenlegato zwar warme, jedoch wegen bisher nicht in Erfüllung getretener Sehnsüchte kühler berechnende Nerina verkörperte.

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Taejun Sun, Daniel Ochoa und Bruno Taddia
© Thomas Kost

Sophie Harmsen stellte mit stilistischer Mezzo-Gewandtheit in passender Paarung zu ihrem in Wahrheit spürbarem Vertrauten die sich pastoral in Einsamkeit wiegende, bescheidene, ehrbare und erklärend reumütige Celia dar, die verständlich mit bewandlicher Koloratura aus der Haut fuhr, wenn sie in ihren Werten getroffen wurde. Das geschah im Verwirrspiel einerseits durch Lindoro, der ein Auge auf Nerina und Celia warf und mit Taejun Suns Zaghaftigkeit und mal hervorscheinender Bestimmtheit daher konsequent uneindeutig, Körbe sportlicher nehmend interpretiert wurde, andererseits durch Melibeo, dessen priesterlichem, es auf andere abgesehen habenden Chef-Intrigant und heißblütigem Eifersüchtling im Tempel. Diesen sang Daniel Ochoa mit breitbrüstigem, gewaltigem, sonor-gefälligem Temperament, dem nach Werbungsmisserfolg in charmanter Verpackung eine ad-hominem beleidigende Moralpredigt an seine geliebte Amaranta entfuhr, die er schließlich in Rache und tödlichem Selbstschutz opfern wollte. Diese wiederum glitt durch Ylva Sofia Stenberg mit vibratolieblicher, allerdings zierlich-spitzer und leuchtender Striktheit ironisch losbestimmt in die Arme des sprunghaften, weiberverrückten Grafen Perrucchetto, dem Bruno Taddia mit ausschließlich baritonaler Befähigung rollenidentitär die fehlende Gefühlstiefe und eindeutig mangelnde unerschrockene Sattelfestigkeit aufdrückte, die der von sich eingenommene, in Haydns rücksichtsloser Buffoparodie mit Übertreibung übertünchende, ertappte Meister des Scheinheiligen in sich trug.

Ein laut Haydn „dergleichen Arbeit in Paris noch nicht gehöret worden ist und vielleicht ebensowenig in Wien“ also, die sich jetzt mit dessen Instrumentarium ausgerechnet und anerkennend in Herne, eben auf diese Art irgendwie richtig „tragisch-komisch“, verewigte.

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