Wer meine Beiträge verfolgt, dem dürfte meine Telemann-Vernarrtheit mittlerweile nicht entgangen sein. Sie begann in der Kindheit mit ersten selbstgekauften CDs, wie beispielsweise verschiedenen Concerti oder der Don Quixote-Suite, und ging nach mitunter eigenem Musizieren über in mögliches Live-Erleben von Aufführungen, die ich wiederum später gar in Worte packen darf. Zahlreiche Einspielungen und einige Konzerte mit immer noch so vielen neuzeitlichen Erstdarbietungen habe ich dabei der Arbeit und Komponisten-Leidenschaft Hermann Max' zu verdanken, der sich unter anderem Telemanns Oratorium Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu annahm, das ich eben früh über Tonträger zu Gehör bekam. Tatsächlich erstmals direkt erfahren konnte ich das 1760 entstandene Werk, das in Telemanns späte Zeit mit der Beschäftigung moderner Poesie fällt, die Herausgeber Hans-Jürgen Reipsch mit „kreativem Schub des 78-Jährigen“ bezeichnet, nun dank William Christie und der NTR ZaterdagMatinee.

Ursprünglich sollte Telemanns Oratorium seine letzte große Arbeit werden. In einem Brief schreibt der seinerzeit höchst angesehene Texter Karl Wilhelm Ramler: „[...] ich habe ein feyerliches Versprechen von mir gegeben auf Ostern etwas fertig zu machen, woran sich ein alter Musikus todtsingen will. Herr Telemann, ein Greis von 78 Jahren, will seinen Schwanengesang singen, und dazu soll ich ihm die Worte vorsprechen.“ Er sollte sich täuschen, schließlich zeigte sich Telemann noch äußerst produktiv, wovon allein der Kompositionsumfang 1760-1762 Auskunft zu geben weiß. Und welch' komprimierte Meisterlichkeit Telemanns dadurch zu vernehmen ist, verdeutlichten Les Arts Florissants mit ihrem seinerseits heute 78-jährigen Leiter auf theatralische, ja so festlich wunderhafte wie mitnehmende Weise, dass das Flirren und Streichertremolo im jubilierenden und andächtigen Schlusschor die Härchen zur Gänsehaut aufstellte. Doch schon zuvor übertrugen sie festgehaltene Empfindungen damaliger Hamburger Rezipienten, die vor Rührung in Tränen ausbrachen. Besonders beim tröstlichen, gerühmt-herrlichen Duett „Vater deiner schwachen Kinder“ oder dem angelischen „Ihr Tore Gottes, öffnet euch!“, deren jetzige faszinierend unikale Synchronisierung in vokalfarblicher und phrasierungsbedachter Art durch Emmanuelle de Negri und Gwendoline Blondeel mir noch goldstandardsetzend in Herz und Gedächtnis bleiben wird.
Freudentränen wurden das, erst recht nach schmissiger Arie „Willkommen Heiland! Freut euch, Väter!“, die de Negri sportlich und erfüllt nahm, auch zwangsläufig mit weniger ihres Vibratos, das ihre weiche, durch glatte Betonungs- und Harmonie-Phrasierung gedeihlichen Affekte unklarer erscheinen ließ. Mit ohrenschmauslicher Freude seines durchstechend-warmkultivierten, mühelos wirkenden, ausspracheklaren, ansteckenden und mit präsenzlicher Verve veredelten Countertenors beschenkte Hugh Cutting die Zuhörer, auch so überzeugender vom Erstehen und Auffahren den zweifelnden Jünger Thomas, dem Moritz Kallenberg eine wortwählend ausgestaltete, deutliche, im lauten Alertismus etwas gedrücktere Stimme lieh. Ein wenig manierierter waren die enthusiastischen Erstaunensverzierungen Matthieu Walendziks, der jedoch sonst stets seinem stimmbesetzten Glauben im Stück Nachdruck durch artikulierende Klarheit und Reichweite gab. Mit dramatischer Wirkmacht trat Padraic Rowan als Jesus in den Accompagnati in Erscheinung, die bei LAF genauso von Fruchtigkeit und Würde lebten wie das Empfindsame der erfahrenen und innovativen Tonalität Telemanns. Effektstarke Regung befiel einen überdies, nachdem die sarabandenhafte Sinfonia zum Grabe Jesu in satter Trauer erklungen war, doch die beiden Chorgruppen hereinbrechend kommentierend und aufruhrenergisch bittend oder dann eindringlich preisend die Sensation erfühlten.
Kombiniert hatte Christie das Werk mit Händel, den engste Blumensammler-Freundschaft mit Telemann verband. Verdoppelt durch die beiden Telemann-Hörner, warfen Les Arts Florissants mit den George II.-Krönungshymnen Zadok the Priest – vorbereitet durch eine Atalanta-Intrada der Pauken und royal-raureiflich, mundstück- und fanfarenschalligen, grandiosen Trompeten – sowie The King shall rejoice klangintensiven, festen und festlichen Huldigungspomp in den Concertgebouw-Saal, wobei das genießende „Exceeding glad shall he be of thy salvation“ anrührend herausstach. Dem stand das im Vergleich seltenst gehörte Te Deum anlässlich Queen Carolines sicherer Insel-Ankunft im Jahre 1714 in nichts nach. Mit liebreizend anmutigem Touch – Christie für Augenblinzelmomente mal rhythmisch perplex – wurden da durch LAF und die vier Solisten, allen voran Cutting, Anrufung, Fürbitte und geläufig bestätigender Dank eins.