25-jähriges Bestehen feiert in dieser Saison das La Cetra Barockorchester Basel, das vom ehemaligen Direktor der Schola Cantorum Basiliensis Peter Reidemeister ins Leben gerufen worden war, als Andrea Marcon, seit mittlerweile über 15 Jahren künstlerischer Ensembleleiter, zwei Jahre davor begann, an der Hochschule für Alte Musik zu dozieren. Gerade mit dem Venice Baroque Orchestra dabei, italienische Barockopern aufzuführen, spielte im Sommer 2001 sein Kollege und jetziger Ryomverzeichnisherausgeber Federico Maria Sardelli im Zuge stetiger, aber allgemeiner ins Bewusstsein gerückter Wiederentdeckungen Antonio Vivaldis 1716 premierte Oper Arsilda, regina di Ponto ein. Jenes Werk stand nun – in Marcons Edition – bei der NTR ZaterdagMatinee an, deren Reihe um Vivaldi liegende Raritäten für die jeweils niederländische Premiere seit 2007 zu einer Institution geworden ist.

Tradition besitzt auch der Grundstoff Domenico Lallis und nochmals von Vivaldi überarbeiteten Librettos um Machtsicherung, Liebe, Ränke und Verkleidungen in kleinasiatischen Königreichen heutiger Türkei, in denen sich – so weit, so normal – neben der eigentlich geplanten Hochzeit von Zilizienherrscher Tamese und Pontosregentin Arsilda mit Tamese-Schwester Lisea und Lydienprinz Barzane sowie Lisea-Kumpanin Mirinda Paare und Gelüste aus den jeweils unterschiedlichen Provinzsstaaten beziehungsweise aufgrund der in Venedig heimischen Maskeraden bilden. Speziellen Reiz erhält die Story dadurch, dass mit den Thronfolgegeschwistern Ziliziens eineiige Zwillinge andere Identitäten annehmen, um mit unweigerlichem Happy End der Doppelhochzeit Kronen und Frieden zu retten. Bevor es zu solchem kommt, möchte Barzane nämlich nach der Kolportierung des Todes seiner Geliebten Lisea, die sich als Tamese ausgibt, Arsilda für sich, während eingeweihte Mirinda ein Auge auf selbst doch nicht erkannten Tamese geworfen hat, der als Gärtner – nein, es muss zur Abwechslung wirklich keiner der Handelnden sterben! – fungiert.
Besondere Inhalte und Jubiläumszahlen erfordern zudem eigene interpretatorische Extravaganzen, die La Cetra Basel und Marcon mit dem teils wahnsinnigen Spezialeffekt-Gezwitscher von Vögeln und Eulen samt Wind durch Pfeifen und Garkleinflöten in die Partitur einbrachten. Neben den aus Blockflöten, wechselnd addierten Oboen, Fagott und fanfarenfestlich-elektrisierenden Coro-Hörnern bestehenden Bläsern, bei denen Marcon für die in Amsterdam beginnende Tour auf die Trompeten und in der Einspielung zusätzlich verwendeten Pauken allerdings verzichtete, beteiligte sich daran im Jagdensemble des zweiten Akts mit den beiden Basslautenisten und Celli auch Cembalist Andrea Buccarella. Er war – Marcon diesmal ohne eigenes Modell nur auf das Dirigat konzentriert – über gesamte knapp zweieinhalb Stunden gekürzter Spielfassung genauso verlässlicher Fels des (Rezitativ-)Continuos mit vor allem erstem Cellisten Alex Jellici wie prononcierter Federschwinger Vivaldis Instrumentalen voller Finesse.
Das lässt sich außerdem über die vorzüglichen Streicher sagen, die die venezianischen Melodien – eine schöner als die andere – und genüsslich phrasierten Affekte vollends im Griff hatten. Mehr denn je als in der Entwicklung der Aufführungen bei der ZaterdagMatinee schon zuvor beschrieben bot Marcon damit einen dramatischen, in Balance und Dynamik, Kultur und Kontur ebenfalls stimmigen wie anregenden Klang, für den La Cetra Basel den knackigen, warmen, homogenen Orchesterorganismus lieferte, zu dem ihn die letzten fünfzehn Jahre machten. Leichtigkeit, Lust und Energie in den zackigen Sätzen wie Empathie und Würde in den langsameren ermöglichten daher, dem Concertgebouw-Zilizien den einzigartig reichen Glanz der Serenissima zu verleihen.
Mit dem Schritt hielt der Solistencast. Erwies sich Benedetta Mazzucato in Artikulation, Phrasierung, ästhetischem Stil und Ausdruck einer eleganten, ob durch den Identitätstausch hinausgezögerter Hochzeit und Romantik nachdrücklich verzweifelten, doch recht umsichtigen, aufrechten und beständigen Arsilda als höchst sichere, akkurate, einnehmende Alt-Bank, beeindruckte Nicolò Balducci als sprunghaft emotionalisierter Barzane wieder mit bewährtem Countervolumen, famoser Technik, virtuoser Verzierungskunst, stechend-funkelnder Höhe und Präsenz. Als er im zweiten Akt mit der Nachahmung der allegorierten „Nachtigall“ endete, konnte das Publikum nicht abwarten, schon beinahe zehn Takte vor Schlussakkord in den Modus des Begeisterungsapplauses überzugehen.
Noch einen drauf an Verzücktheit legte Beth Taylor als Lisea, Managerin des Ganzen, ebenfalls solcher ihrer Verzeihensgefühle gegenüber abtrünnigem Barzane, die sowohl mit dunkelfarbigem Kontra-Alt zur passenden Zwillingsimitation als auch mit hervorragendem Atemeinsatz, Dynamik, Volumen, Registerwendigkeit, Temperament und rhetorischer Theatralik im Angesicht persönlichen und volkswillentlichen Jonglierens wucherte. Oder um es in zwei Wörtern auf den Punkt zu bringen: anmutiger Vehemenz. Zwar fiel Leonardo Cortellazzis Tenor-Stil und -Forcieren dagegen zwangsläufig etwas ab, Ersteren mit mezzopiano gewinnend, jedoch schraubte er sich als heldenhafterer, letztlich in Amore sprießend-blühender Tamese ordentlich durch manche Hürden, noch dazu in guter Verständlichkeit.
Ohne Drücken, sattelfest geläufig, zärtlich hell und mit ätherisch-träumerischem Charakter in zweiter Arie zum Ende des ersten Akts präsentierte sich Shira Patchorniks Sopran als reine, weise und in allem anspruchsvollen Arientrubel um Glück bedachte Mirinda. Auch die übrigen Vertrauten (Tameses), Cisardo und Nicandro, absolvierten ihre Partien absolut souverän und angenehm: José Coca Loza mit äußerst bewundernswert figurengefälligem, geschmeidigem Bass und Jone Martínez mit edlem, erst mezzohaftem, dann beweglichem, sanft-schmuckem Sopran.