„Jauchzet, frohlocket! Auf, preiset die Tage, rühmet, was heute der Höchste getan!“, lässt Johann Sebastian Bach den Chor in seinem berühmten Oratorium für die Weihnachtszeit einstimmen. Es sind Worte, die, weil so gut bekannt, unweigerlich schon beim Lesen eine Melodie in Gedanken mitklingen lassen. Bachs Werk für die weihnachtlichen Feiertage gehört zu jenen Musikkunstwerken, die den Geist einer Feier einfangen haben, die aufhorchen und miteinstimmen lassen. Eine Aufführung ganz in diesem Sinne war im Wiener Konzerthaus unter Hans-Christoph Rademann zu hören.
Der deutsche Chor- und Orchesterdirigent Rademann vereinte die Kräfte vier gut gewählter Solisten, des Freiburger Barockorchesters und des RIAS Kammerchors. Mit letzterem verbindet ihn eine langjährige Zusammenarbeit, da er dessen Leitung bis zum letzten Jahr inne hatte. Diese unterschwellige Vertrautheit legte den Grundstein für die Bereitschaft aller Musiker, aufeinander einzugehen und die Harmonie zwischen den verschiedenen Klangkörpern zu wahren.
Wenn die Pauke mit Präzision und Bedacht einsetzt und Trompeten sich in sphärische Höhen erheben, ist die Qualität eines Orchesters schon bewiesen. Wie ein Chor aus gleichschwingenden Glocken setzten die Sänger ein und schlossen den Kreis aus vertonter Herrlichkeit. Im Vollklang des Orchesters dominierten die Streicher das Klangbild, sodass sich die Bläser in ihren Soli noch mehr vom gestrichenen Kontinuum abhoben. Vor allem die Oboen d’amore gestalteten ihr Spiel agil und rund, sodass ihnen auch im Wechselspiel mit den Sängern nichts an Gebundenheit fehlte, was besonders in der Hirtenmusik zu Beginn des zweiten Teils zur Geltung kam. Dieses äußerst lyrische Stück wusste mit seiner fließenden Dynamik und dem weichen Übergang der Stimmen zu schmeicheln und zu betören.
Die Harmonie der Töne wurde bereichert durch einen Genuss für die Augen. Dunkles Holz der Barockinstrumente, wehende Stoffe in rot und schwarz fügten sich nahtlos in den Großen Saal des Wiener Konzerthauses, der von Bordeaux und Gold dominiert wird. Einen Höhepunkt der Aufführung markierte der Auftritt von Sopranistin Anna Lucia Richter. „Und der Engel sprach zu ihnen“, sang der Evangelist und die Augen aller hoben sich. Lautlos und mit Würde trat die junge Sängerin am Balkon über den anderen Musikern auf. Mit ihrer frischen, reinen Stimme sang sie zu den Hirten mit Bestimmtheit und Freude und ihre klare Höhe wurde von zarten Obertönen begleitet. In funkelndem Kleid mit eleganter Gestik war die Analogie zum Engel nicht fern.
Auch die anderen Solisten erwiesen sich als feinsinnige Oratoriensänger. Maximilian Schmitt sang den Evangelisten mit klaren Linien und deutlicher Artikulation. Die Verzierungen seiner Arie im zweiten Teil schienen ihn etwas zu überfordern und klangen dadurch holprig; die Überleitungen allerdings gestaltete er mit Nachdruck und konnte dadurch die Spannung zwischen den Chorälen und Arien halten. Roderick Williams' Bass schnurrte mit Leichtigkeit über das ganze Register und behielt selbst in der Höhe seine samtene Färbung. Mit wachem Ausdruck und lebendiger Gestik vermittelte der charismatische Engländer eine ansteckende Freude.
Nach einer Erkrankung von Anke Vondung wurde die Altpartie von Stefanie Irányi übernommen. Die Stimme der Mezzosopranistin blühte vor allem in den ruhigen Passagen auf und zog in der Arie „Schlafe, mein Liebster, genieße der Ruh“ bereits mit ihrem ersten Ton alle Aufmerksamkeit ein. Einer nicht enden wollenden Linie gleich zog sich dieser erste Laut durch den Saal; dabei musste sie kein großes Volumen einsetzen, um gehört zu werden, und legte auch sonst den Fokus auf eine sanfte Darbietung.
Hans-Christoph Rademann wusste gekonnt die Nuancierungen der verschiedenen Stücke abzustimmen. In „Ehre sei Gott in der Höhe“ führte er seine Musiker mit Bewegungen der Hände, die an die liegende Acht der Unendlichkeit erinnerten. Die Fuge erklang dementsprechend ineinanderfließend, ohne dabei ihre Konturen zu verlieren, und der RIAS Kammerchor agierte als der Stimmungszauberer des Abends. Sprühende Feierlichkeit war den Sängern ebenso natürlich wie besinnende Zurückhaltung. Mit Leichtigkeit lösten sie die Schwermut des dritten Teils in unbeschwerte Freude auf und wie den Beginn gestalteten sie den Schluss mit klang gewordener Stärke.
Als Zugabe stimmten die Musiker noch einmal den letzten Choral des ersten Teils Ach mein herzliebes Jesulein an. Für die zweite Strophe wandte sich Hans-Christoph Rademann dem Publikum zu und der ganze Saal sang mit Freude und Begeisterung: „Vom Himmel hoch da komm ich her!"