Mehr als Musik: Festivals im Sommer 2015

Vielerorts neigt sich die reguläre Spielzeit im Frühsommer bereits dem Ende zu, und unser Augenmerk richtet sich stattdessen auf eine Zeit von Picknicks und außergewöhnlichen Produktionen – es ist Festivalzeit! Wo besonders amerikanische Festivals bereits eine etablierte Tradition von Festivalakademien haben, gewinnt dieses Format auch in europäischen Ländern zunehmend an Beliebtheit, und da ihre Zahl beständig steigt, werfen wir einen genaueren Blick auf Festivals, die in diesem Sommer mehr als nur Musik bieten.

Zahlreiche Festivals haben sich die Unterstützung von jungen, aufstrebenden Künstlern zur Aufgabe gemacht, und eines, das sich aufgrund seines breiten zusätzlichen Angebots besonders hervorhebt, ist Aldeburgh. Gegründet in den späten 1940ern verwirklicht dieses Festival die Vision eines kreativen Umfelds für Musiker und Publikum seines Gründers Benjamin Britten; seine Veranstaltungen beinhalten darstellende Projekte für die Gemeinschaft, Sommerkurse für außergewöhnlich talentierte Musiker unter 18 Jahren, und Fortbildungen für aufstrebende wie bereits etablierte Künstler. In diesem Jahr wird das Festival außerdem von einem der ansprechendsten Künstler der Alten Musik besucht: der deutsche Countertenor Andreas Scholl wird einen Meisterkurs geben, der sich mit den großen Vokalkomponisten des Barock wie Purcell, Dowland und natürlich Händel beschäftigt.

Eine ähnliche Mischung von Weiterbildung und Einbezug der Öffentlichkeit findet man in den Zusatzveranstaltungen des amerikanischen Carmel Bach Festivals. Es ist einerseits der Gemeinschaft, auf deren Basis es entstand, noch stark verpflichtet, und arbeitet mit verschiedenen Festivalpartnern, um junge Menschen zu inspirieren und zu unterstützen, und auch, um die Musik zu älteren Menschen zu bringen, die aus körperlichen Gründen keine auswärtigen Veranstaltungen mehr besuchen können, die es jedoch sehr genießen, das Festival zu Hause zu erleben. Andererseits bietet es den gesanglich talentierten Schülern von Highschools die Möglichkeit, in seinem vierwöchigen Jugendchor-Programm mit einem professionellen Orchester und renommierten Dirigenten zusammenzuarbeiten. Zudem bietet es eine Reihe Meisterkurse für Sänger mit Schwerpunkt Barockrepertoire. Sängern gilt auch alle Aufmerksamkeit beim Castleton Artist Training Seminar (C.A.T.S.). Das siebenwöchige Programm des Castleton Festivals, das von Lorin Maazel ins Leben gerufen wurde, bietet ein außerordentlich umfassendes Trainingsangebot für Künstler im Bereich Oper bietet, von Stimm- und Sprachcoaching bis hin zu Vorsing-Vorbereitung und Unterricht im Bühnenkampf.

Wo Alte Musik in dieser Festivalsaison ein wiederkehrendes Thema zu sein scheint, selbst bei den Festivals, die sich ihr nicht notwendigerweise verschrieben haben, ist ein frühes Repertoire das Zentrum des Boston Early Music Festivals. Unter seinen Veranstaltungen findet man in diesem Jahr Meisterkurse für Studenten und professionelle Musiker, Vorlesungen mit Händel-Forscherin Ellen T. Harris, Demonstrationen und Konzerteinführungen für das Publikum. Zu einem besonderen Höhepunkt könnten dabei zwei Tanz-Workshops mit Spezialistin Caroline Copeland werden, wie eine begrenzte Zahl von enthusiastischen Besuchern in die Geheimnisse des Renaissancetanzes einweihen wird. Auf dieser Seite des großen Teiches bekommt man die Gelegenheit, das Tanzbein zu schwingen, beim Gregynog Festival in Wales, wo eine Unterweisung in französischem Barocktanz zum von Revolution durchdrungenem Programm gehört. Von revolutionären Komponisten bis zu revolutionären Ereignissen wie der Schlacht bei Waterloo erkundet das Festival dieses Sujet mit einem Mix aus Workshops, Konzerten, Vorträgen und sogar einem Fünf-Gänge-Menü!

Mit Gedankenfutter, musikalisch jedoch nicht weniger appetitlich, werden die deutschen Händel-Festspiele in Halle sowie das Festival für Alte Musik in Utrecht ein breites Konzertpublikum und Forscher gleichermaßen anziehen. Die Händel-Festspiele bieten, zusätzlich zu einem aufregenden Oratorien-Programm mit Starbesetzung, eine internationale Konferenz als eine Plattform des wissenschaftlichen Austausches. In Utrecht werden unter dem Motto „England, my England“ 70 Konzerte von einer Vielzahl spannender Gäste wie Jordi Savall und L'Arpeggiata sowie dem Artist in Residence Vox Luminis präsentiert. Parallel findet ein separates Festival von jungen Profis statt, manche noch Studierende, manche bereits Graduierte, und alle von künstlerischen Team aus bis zu 200 Audio-Bewerbungen aus ganz Europa und sogar Japan ausgewählt. Das musikalische Programm wird ergänzt von einem Symposium für Profis im Musikbusiness sowie täglichen Vorträgen für ein breiteres Publikum, die in Zusammenarbeit mit der Universität Utrecht und dem dortigen Zentrum für Geisteswissenschaften erstellt wurden, um neue Ideen anzuregen. Während die Vorträge musikalisch enden, so beschäftigen sie sich doch mit außermusikalischen Themen, die von Interesse für die breite Öffentlichkeit sind, und Teilnehmer finden sich unter Umständen in einer Diskussion darüber wieder, wie man ein grün(er)es Festival gestalten kann.

Ein ganz anderes Grün hingegen bietet das österreichische Grafenegg Festival: Mit verschlungenen Pfaden und einem romantischen Schloss umgeben von Jahrhunderte alten Bäumen vereint dieses Festival seine idyllische Lade mit den Klängen der weltbesten Orchester und auch seinem jährlichen Kompositionsworkshop INK STILL WET. Über drei Festivaltage hinweg wird Composer in Residence Matthias Pintscher sechs ambitionierte Jungkomponisten aus der ganzen Welt betreuen. Diese erhalten dabei die Gelegenheit, mit dem ortsansässigen Tonkünstler Orchester eines ihrer Werke unter Beobachtung zu erarbeiten und die Interpretation vor einer öffentlichen Aufführung noch einmal auf Hochglanz zu polieren.

Eine sprichwörtliche Hochglanz-Politur ist auch, was Teilnehmer der Sommerkurse des finnischen Kuhmo Kammermusikfestivals und des Toronto Summer Music Festivals erwarten können. Die Kurse beider Festivals konzentrieren sich ganz auf Kammermusik und individuellen Unterricht für Sänger und die Mitglieder junger Kammerensembles. In kleinen Gruppen und intensiven Lehrstunden streben sie danach, ihren Studenten einzigartige Unterrichtserfahrungen zu geben. Wo Toronto nicht nur Akademieveranstaltungen für Musiker an der Schwelle zu einer professionellen Karriere, sondern auf für die Öffentlichkeit bietet – beispielsweise Meisterkurse für Laienpianisten, enthüllt ein Blick in die Geschichte Kuhmos überdies Kompositionswettbewerbe. Obwohl in Kuhmo in diesem Jahr kein Wettbewerb gehalten wird, so gibt es sie doch recht zahlreich andernorts.

Beim Opernfestival in Savonlinna kommen jedes zweite Jahr die talentiertesten jungen Sänger Finnlands beim Timo Mustakallio-Wettbewerb zusammen, der in diesem Jahr Mitte Juli stattfindet. Instrumentalisten, die sich mit anderen messen wollen, können das beispielsweise beim Prager Frühlingsfestival tun, das 2015 sein 70. Jubiläum feiert. Gegründet in den späten 1940ern befasst sich der Wettbewerb in jedem Jahr mit einem andern Instrumentenpaar, und obwohl im ersten Wettbewerbsjahr überhaupt kein Preis vergeben wurde, so ist doch der Preis einer Gastvorstellung im Rahmen des Festivals Tradition geworden. Dieses Jahr treten Flötisten und Klarinettisten an, doch wenn Sie Pianist oder Trompeter sind, ist 2016 für Sie die Gelegenheit. Organisten hingegen können im Wettbewerb des St. Albans International Organ Festival glänzen, wo 17 Viertelfinalisten, ausgewählt aus über 70 jungen Musikern aus zahlreichen Ländern, im Juli sowohl im Bereich Interpretation als auch Improvisation miteinander wetteifern werden.

Während es vielen Zuhörern bei Festspielen vor allem darum geht, ausgezeichnete Musik und außergewöhnliche Projekte und Produktionen zu genießen, so haben sich viele Festivals jedoch schon lange in etwas verwandelt, das über die bloße Institution des Musikkonsums hinausgeht. Seit Jahrzehnten sind Festivals ein Forum des Austausches für Musiker, ein Ort, um von den besten zu lernen, und die Zahl der Sommerfestivals, die mehr als „nur“ Musik anbieten, wächst beständig. Ob Sie nun Sänger sind, Solo-Instrumentalist oder Mitglied eines Ensembles, ob Sie ihre Fähigkeiten weiterentwickeln oder sie gegen andere Musiker erproben möchten, Klassikfestivals im Sommer 2015 werden Ihnen genau das bieten.