Nur wenige Klarinettisten zeigen eine solche technische Perfektion wie Sabine Meyer. Sie wurde in eine wahre Klarinettenfamilie hineingeboren; ihr Großvater, Vater und älterer Bruder spielten bereits Klarinette und auch für sie war es zweifelsohne die richtige Wahl. „Ich habe ganz früh begonnen, Klavier zu lernen, nach einiger Zeit kam die Geige dazu und erst etwas später dann die Klarinette und noch die Orgel. Jahrelang habe ich diese vier Instrumente gelernt und auch sehr gemocht. Trotzdem hat sich schnell herausgestellt, dass mir die Klarinette am meisten liegt. Der modulationsfähige Ton, das Spielen mit dem Atem – ich hatte einfach von Anfang an das Gefühl: Das ist mein Instrument!”
Ihre Karriere begann sie zunächst als Klarinettistin beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und später bei den Berliner Philharmonikern, bevor sie 1983 die mutige Entscheidung traf, das Orchesterleben zu verlassen und als Solistin tätig zu sein. „Als Mitglied eines großen Orchesters wie dem BRSO oder den Berliner Philharmonikern hat man das Glück, viele bedeutende Musikerpersönlichkeiten kennen zu lernen; das sind die internationalen Solisten aber natürlich auch die berühmten Dirigenten. Das prägt ganz wesentlich auch die persönliche musikalische Entwicklung. Neben Karajan waren das für mich auch Rafael Kubelík, Leonard Bernstein oder Carlo Maria Giulini, um nur wenige zu nennen. Es gibt künstlerisch für Klarinettisten keinen schöneren Beruf, als in solch einem Orchester zu spielen. Meine Entscheidung, das Orchester zu verlassen war demnach auch nicht einfach und den damaligen, sehr unglücklichen Umständen geschuldet.” Nach einigen Unstimmigkeiten und Turbulenzen im Orchester hatte Meyer – noch vor Ablauf ihrer Probezeit – ihre Stelle bei den Berliner Philharmonikern gekündigt.
Eine Solokarriere kann ein steiniger Weg sein, deshalb kommt es laut Meyer auf die richtige Balance zwischen solistischen, kammermusikalischen oder auch, wie in Ihrem Fall, lehrenden Tätigkeiten an. „Eine Karriere als Solist ist als Bläser weder erstrebenswert noch praktisch möglich, da Blasinstrumente nicht annähernd die Literatur haben, die eine jahrelange solistische Laufbahn tragen könnte. ,Normal' und erfüllend ist für einen Bläser daher eine Position in einem guten Orchester oder eine pädagogische Anstellung und jeweils dazu ein solistisches oder kammermusikalisches Konzertieren, was auch bei mir der Fall ist. Die Hälfte meiner Tätigkeit füllt meine Professur an der Musikhochschule Lübeck. Darüber hinaus teile ich meine Auftritte ungefähr zur Hälfte in solistische Konzerte und Kammermusik.”
Meyer selbst hat bei Hans Deinzer, zu dessen Schülern auch Martin Fröst, Meyers Bruder Wolfgang und ihr Ehemann Reiner Wehle zählen, in Hannover studiert und vieles, was sie von ihm lernen durfte, hat sie als Professorin übernommen. „Von ihm habe ich gelernt, dass eine Klarinette nicht mechanisch mit den Fingern gespielt wird, sondern dass das Wesentliche in den gesanglichen Qualitäten des Instruments liegt, also Tonkontrolle, Farbgebung, Artikulation und Phrasierung. Diese Philosophie möchte ich meinen Studierenden weitergeben. Es gibt viel zu viele ,Mechaniker' auf den Podien der Welt.”
Ein weiteres großes Anliegen der deutschen Klarinettistin ist die Kammermusik. Gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrem Bruder hat sie das Trio di Clarone gegründet, dessen Repertoire von Mozart bis Jazz reicht. „Mit diesem Trio haben wir erstaunlich viele Jahre konzertiert. Das war nur möglich, weil wir sehr viele verschiedene Projekte entwickelt haben. Erst war es die Kombination von Originalwerken von Mozart mit zeitgenössischer Musik. Dann waren es Programme mit Sängern und sehr viel interessanter, aber vergessener Originalliteratur zum Beispiel von Mozart oder Strawinsky, aber natürlich auch viele Programme mit drei Klarinetten und Klavier oder die Zusammenarbeit mit Eddie Daniels und Michael Riessler.” Gemeinsam mit dem Jazz-Klarinettisten und Komponisten Michael Riessler und Pierre Charial an der Drehorgel verwirklichten sie das Projekt „Paris Mécanique”, das eine musikalische Geschichte vom Paris der 20er Jahre erzählt, vom Aufkommen der Filmmusik und dem Mechanischen in der Musik.
Auch als Konzertsolistin erweitert Meyer ständig das Repertoire, doch sich selbst würde sie als „kritisch” gegenüber zeitgenössischer Musik bezeichnen. „Einerseits gibt es zu viel ,Klamauk' oder zu viel Anbiederung an den Publikumsgeschmack, andererseits gibt es auch viele Kompositionen, die ein normaler Musiker nicht mehr spielen kann. Trotzdem gibt es wertvolle und bedeutenden Komponisten und viele der Werke, die für mich geschrieben wurden, werden wohl die Zeiten überdauern, wie die Werke von Hosokawa, Eötvös, Denisov, Françaix, Trojahn, Reimann, Illés und viele andere.” Eine spezielle Herangehensweise an neue Stücke hat sie allerdings nicht. „Zunächst ist immer der Text zu analysieren. Zudem muss man versuchen, die Intentionen des Komponisten zu verstehen, denn nur darum geht es. Wir Instrumentalisten sind nur die Mittler zwischen dem Komponisten und dem Publikum.”
Neben Weber, Hindemith, Nielsen, Stamitz oder Spohr, nennt Sabine Meyer das „Bassettklarinettenkonzert” von Mozart als Kern des solistischen Repertoires der Klarinette. „Es ist die beste Komposition, die je für ein Blasinstrument geschrieben wurde. Daneben verblasst erstmal alles. Das Konzert lebt sozusagen mein Leben mit. Es ist so ungeheuer tief und reich an Ausdruck, Farben und Kompositionsideen, dass man es eigentlich jedesmal wieder neu entdeckt. Es ist aber auch mit jedem Orchester, jedem Dirigenten, jedem Saal und jedem Publikum immer wieder anders. Besonders schön ist es natürlich, wenn man mit Dirigenten zusammenarbeitet, die aus der historischen Aufführungspraxis kommen, wie zum Beispiel Giovanni Antonini.” Selbstverständlich spielt Meyer das Konzert auf einer Bassettklarinette. „Es ist eigentlich sehr traurig, dass es diese Frage in der heutigen Zeit gibt."
"Das Werk ist für die Bassettklarinette komponiert und wir wissen über die Entstehungsgeschichte und die Originalfassung heute sehr viel genauer Bescheid als noch vor 40 Jahren. Natürlich kann man das Konzert auch auf der Flöte spielen oder der Viola oder eben auf einer normalen A-Klarinette. Aber das sind dann Bearbeitungen und alle diese Instrumente haben nicht den verblüffenden Tonumfang der Bassettklarinette, den Mozart ebenso genial wie werkbestimmend in das Konzert integriert hat. Weite Teile des Werkes, der Mittelteil des Adagios oder der gesamte dritte Satz, leben von diesem ständigen Lagen- und Farbwechsel. Das alles geht auf einer normalen Klarinette nicht, sodass selbst für dieses Instrument mehr als 100 Takte der Solostimme abgeändert sind, sprich eine Oktave nach oben versetzt. Es ist überhaupt keine Frage, dass ein Instrumentalist, der sich „Solist” nennt, das Originalinstrument benutzen muss.”
Als Studentin hat Meyer auch einige Male auf historischen Instrumenten gespielt, doch im normalen Berufsleben bleibt dafür zu wenig Zeit. „Da müsste man sich schon auf dieses Gebiet spezialisieren, denn gerade die historischen Klarinetten – das sind dann ja auch noch viele Instrumente in den verschiedenen Stimmungen, zusätzlich zum Bassetthorn und der Bassettklarinette – müssen mit ihren Holzmundstücken und den vielen speziellen, handgemachten Blättern dazu, nahezu permanent gespielt werden. Das geht nicht so nebenbei und von Zeit zu Zeit.” Ihr alltägliches Instrument ist eine Wurlitzer-Klarinette. „Meine Instrumente sind schon ziemlich alt, sie wurden in den 70er Jahren von Herbert Wurlitzer gebaut. Es sind sehr hochwertige, handgearbeitete Instrumente aus ausgesuchtem Holz. Ich habe aber auch einen Satz Klarinetten aus Buchsbaumholz von der Firma Schwenk & Seggelke.” Und wie auch viele andere Klarinettisten hat sie mit den Instrumentenbauern zusammengearbeitet, um Entwicklungen oder Verbesserungen zu initiieren, „zum Beispiel die Intonationsverbesserung des tiefen E und F am Bassetthorn und an der Bassettklarinette.”
Anstelle der heute üblichen offenen Mundstücksbahnen, spielt Mayer seit über 40 Jahren immer die gleichen Mundstücke mit einer Öffnung von nur etwa 0,91mm an der Spitze, wofür sie das Blatt-Modell S800 mit Steuer Reeds entwickelt hat. „Allerdings muss man selbstverständlich Klarinettenblätter immer nachbearbeiten, das heißt sorgfältig einspielen, leichter oder schwerer machen. Natürlich sucht man sich sein Blatt auch nach dem Repertoire aus, welches man spielen muss. Bei Debussy nimmt man sicher ein leichteres Blatt und bei Brahms ein schwereres. Ganz schwierig ist es auch immer, ein gutes für die Bassettklarinette zu finden.”
Ein ganz spezielles Instrument in ihrem Besitz ist eine Klarinette des Klarinettenvirtuosen Johann Simon Hermstedt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, für den Louis Spohr seine Klarinettenkonzerte schrieb. „Ich spielte ein Konzert mit Spohrs Viertem Klarinettenkonzert in der Nähe von Braunschweig und bekam danach einen Brief von einer Ururahnin von Simon Hermstedt. Dabei stellte sich heraus, dass diese Dame die originale A-Klarinette besaß, für die dieses Konzert komponiert wurde. Ich bekam das Instrument zu treuen Händen geschenkt und hoffe, dass ich es irgendwann in einem geeigneten Museum der Öffentlichkeit zeigen kann.”
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