Die ersten acht Takte der Solostimme des Violinkonzerts von Alban Berg sehen aus wie Engelsflügel. „Man darf dem Ganzen aber nicht zu viel Bedeutung beimessen, das könnte auch Zufall sein.“, meinte Augustin Hadelich in einem Interview, das er kürzlich anlässlich seiner Matinée bei den Salzburger Festspielen dem Bayerischen Rundfunk gab. Sicherlich kein Zufall war der Eindruck, den man gewann, als Hadelich in einem elegant geschnittenen schlanken schwarzen Anzug auf die Bühne schritt, um sich sodann nach dem ersten Takt des Orchesters in Richtung des Publikums zu beugen. So als wollte er gleich selbst wie ein Engel von der Bühne schweben.

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Augustin Hadelich
© SF | Marco Borrelli

Augustin Hadelich blieb zwar, wo er war, was da allerdings in den Saal des Großen Festspielhauses flog, war nicht minder himmlisch. Glasklare leere Saiten, verheißungsvoll leise und dennoch unheimlich präsent. Wie dann auch die folgende Interpretation des Konzerts von Alban Berg, das er „dem Andenken eines Engels“ gewidmet hat. Nachdem nämlich Berg im Februar 1935 den Auftrag zu diesem Konzert von dem amerikanischen Geiger Louis Krasner erhalten hatte, starb im April die von Berg innig geliebte Manon Gropius 18-jährig an Kinderlähmung. Das ganze Konzert atmet eine Zerrissenheit aus intensiver Trauer und zugleich der verklärten Zuversicht, dass es Manon nach dem Tode besser gehen muss als während ihres Kampfes gegen die tückische Krankheit.

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Andris Nelsons
© SF | Marco Borrelli

In besagtem Interview mutmaßt Hadelich, dass die zunächst von der Solovioline vorgetragenen crescendierten Krächzmotive im zweiten Satz den unerbittlich gleichmäßigen industriellen Atem der eisernen Lunge imitieren. „Vielleicht ist es aber auch das Ringen nach Luft“. Was immer der Komponist im Sinn hatte: Die intensive Eindringlichkeit der Wiedergabe dieses einzigartigen Wunders der Violinliteratur durch Hadelich und die Wiener Philharmoniker hielt die Zuhörer im vollbesetzten Saal vom ersten bis zum letzten Takt in Atem. Andris Nelsons hatte die Orchestermusiker optimal eingestellt und schlug zwar zeitweise mit fast übertriebener mechanischer Präzision, jedoch stets mit sanften Einsprengseln subtiler Gesten an die jeweils gefragten Instrumentengruppen. Und diese spielten dann auch unerhört fein abgestimmt und geschmackvoll moderiert. Besonders eindrucksvoll gelangen die Bläserpassagen; wie etwa der durch die Holzbläser samten angestimmte Sterbechoral Es ist genug aus der Bachkantate O Ewigkeit, Du Donnerwort. Nach einer spannungsvollen Schweigeminute dann donnernder Applaus, den Hadelich mit dem Andante aus der Sonate Nr. 2 für Violine solo a-Moll, BWV1003 von Bach belohnte.

Nach der Pause stand der von Berg hochverehrte Gustav Mahler auf dem Programm. Seine Vierte Symphonie ist wie das Berg’sche Violinkonzert geprägt von Spannungen zwischen mystischer Transzendenz und weltlichen Bezügen. Nelsons gestaltete hochkonzentriert ein symphonisches Meisterwerk aus einem Guss. Die Wiener Philharmoniker lieferten dabei nicht nur pflichtgemäß ihren jeweiligen Beitrag, sondern bemühten sich spürbar um den glücklichen Augenblick, den musikalischen Kairos, und es gelang ihnen ein ums andere Mal. Wiederum waren es die Bläser, und diesmal vor allem das Blech, ja die Hörner, die über sich hinauswuchsen, angeführt vom formidablen Ronald Janezic.

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Christiane Karg
© SF | Marco Borrelli
 

Der Konzertmeister Rainer Honeck spielte die berühmten Geigen-Soli im Scherzo mit der richtigen Portion Mut an der Grenze zum hässlichen Krächzen. Genau so wie Mahler es sich gewünscht hatte: „Mystisch, verworren und unheimlich, dass Euch dabei die Haare zu Berge stehen werden.“ Berühmt sind diese Soli vor allem auch deshalb, weil eine Extra-Violine bereit liegt, die um einen Ganzton nach oben gestimmt wird (also auf A, E, H und Fis), auf dass sie „schreiend und roh klinge – wie wenn der Tod aufspielt.“

So gar nicht schreiend und roh erklang dann das Schlusslied aus Des Knaben Wunderhorn,  herrlich rein intoniert von Christiane Karg, die schon bei ihrem Auftritt auf die Bühne vor dem vierten und letzten Satz in einer umwerfend eleganten Gala-Robe makellose Souveränität ausstrahlte, mit hocherhobenem Haupt, der Nofretete gleich. Der Name Nofretete bedeutet „Die Schöne ist gekommen“. So wie an diesem beschwingten Vormittag in Salzburg viel Schönes über das Publikum kam. Wir genießen die himmlischen Freuden.

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