„Das ist ja fast schon eine Musik zum Mitsingen“, äußerte Christian Thielemann in diesem Sommer über Bruckners Fünfte, deren erste drei Sätze er sogar für unproblematisch erklärte – und dann hinzufügte: „Aber um Himmels Willen, der letzte Satz, mit seiner Doppelfuge und all seinen kontrapunktischen Finessen! Wenn Sie das so spielen, wie es in der Partitur steht, dann ist das sowohl ein kontrapunktisches Meisterwerk, als auch eine fantastische Musik.“

Christian Thielemann dirigiert die Staatskapelle Berlin © Jakob Tillmann
Christian Thielemann dirigiert die Staatskapelle Berlin
© Jakob Tillmann

Dass Thielemann eine sehr genaue Vorstellung von der gesamten Symphonie Bruckners hat, mit dessen Partitur er sich über Jahrzehnte hinweg beschäftigt hat, merkt man in jedem Takt seiner Leitung – manche seiner Eigenwilligkeiten hat er mittlerweile korrigiert. Neigte er früher dazu, vor allem den dritten Satz viel zu langsam zu dirigieren, überzeugte sein jüngstes Dirigat bei der Staatskapelle Berlin zunächst mit einer grundsätzlich sicheren Wahl der Tempi, was es ihm vor allem erlaubte, Entwicklungen nachvollziehbar zu gestalten. Absteigende, kaum hörbar hingetupfte Pizzicato-Bässe eröffneten die Aufführung. Die hohen Streicher intonierten dazu eine Synkopenfolge, als gelte es, ein Werk sakraler Musik einzuleiten. Wie eine Rakete ließ Thielemann die Bläser-Fanfare im Legato aufsteigen und ihr einen feierlichen Choral folgen. Das klang nicht allein erhaben für sich, sondern deutete auf Kommendes hin; denn in der Durchführung holt Bruckner diese drei Elemente in die Jetztzeit dieses Sonatensatzes hinein. Im Zentrum des Satzes rangen dann das Hauptthema und die Motive der Introduktion um ihre Vorherrschaft. Indem Thielemann und das Orchester schlüssig Brücken baute, statt Blöcke nebeneinander zu stellen, gelang es ihnen, in diesem Abschnitt schon auf das Finales vorauszudeuten, wo die Kunst der Angleichung der Motive und die Integration von Gegensätzlichem zu höchster Blüte getrieben worden ist.

Instrumental gesungen wurde im Adagio. Doch legte Thielemann nicht allein Wert auf Kantabilität, die im zweiten Thema von wirklich berührender Schönheit war, sondern ließ die beiden metrischen Schichten im ersten Thema mit aller Sorgfalt gegeneinander agieren. Mit einer Mischung aus Witz, der bei Bruckner ganz selten vorkommt, hier aber hingehört, und Furor wurde das Scherzo in bewunderungswürdiger Spielkultur vorgetragen.

Der komplizierte Aufbau des Finalsatzes wurde auch dank des transparenten Orchesterklanges durchleuchtet. Vor allem in den fugierten Passagen wurde alles als organische Entfaltung präsentiert. Die Musikerinnen und Musiker spürten in ihrem Spiel Bruckners Phantasie nach und verstanden es, hervorzuheben, wie andersartig sowohl das Fugen- als auch das Choralthema klingen, wenn sie umgekehrt worden sind oder ihnen noch ihr Original dann zeitversetzt hinzutrat oder schließlich sogar alles übereinander geschichtet worden ist. Mit bewundernswertem Gespür für den Zusammenhang des Satzes wurde das Thema des Kopfsatzes in das Finale aufgenommen, um es dann mit dem Fugenthema verschmelzen zu lassen. Wie intensiv Thielemann an seiner Bruckner-Auffassung gearbeitet hat, wurde spätestens daran deutlich, wenn er die Apotheose des Choralthemas sich aus der Vergrößerung der beiden anderen Themen ganz schlüssig herauswachsen ließ. Das war dann kein lärmendes Gewitter, sondern tatsächlich ein alles überwölbender Höhepunkt, den Bruckner als Ziel der Entwicklung komponiert hat. Diesen zu erreichen gelang ihn aber nicht zuletzt auch darum, weil er nicht zu früh in der Aufführung das Fortissimo ausgereizt hatte.

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