Heute unter dem Namen Chandos Anthems bekannt, benannt nach dem im April 1719 zum ersten Duke of Chandos ernannten James Brydges, der als ehemaliger Generalzahlmeister der britischen Auslandsarmeen laut Berichten auf prunkvollerem Fuße als der Prince of Wales gelebt haben soll, schrieb Georg Friedrich Händel als dessen Hauskomponist von Sommer 1717 bis Mitte 1718 elf vokale Sakralstücke mit Instrumentalbegleitung. Da Brydges zur Zeit dieses Dienstverhältnisses eben noch nicht in den Herzogsstand erhoben war, wäre die Bezeichnung Cannons Anthems unter strengen historischen Gesichtspunkten zutreffender, orientiert am Namen des außerhalb der City of London gelegenen Landsitzes, wobei Händel die Werke dort nicht in der House Chapel uraufführen konnte.
Denn sie war im Rahmen der aufwendigen Baumaßnahmen des in die Jahre gekommenen Tudor-Anwesens nicht fertiggestellt, so dass Händel und Brydges‘ Orchester, das Cannons Concert unter Leitung des berüchtigten Johann Christoph Pepusch (The Beggar’s Opera), mit der schnuckeligen, ebenfalls vom späteren Grafen errichteten Pfarrkirche St. Lawrence in Little Stanmore (Edgware) vorliebnehmen mussten, in der sie ihren musikalischen Beitrag zur Gestaltung des anglikanischen Gottesdienstes leisteten. An diesen historisch örtlich-praktischen Umständen ausgerichtet, sprich solistischer Chor sowie einfach besetztes Orchester aus Streichern, Orgel, Oboe und Fagott, präsentierte Michael Alexander Willens‘ Kölner Akademie drei der Anthems bei diesjähriger Ausgabe des 20-jähriges Jubiläum feiernden Festivals RheinVokal.
Auf federnd-leichter, natürlich luzider sowie stilistisch und phrasierungstechnisch stringenter Basis atmeten dort Händels intime Kleinoden den Geist der Andacht, Demut und Festlichkeit, jeweils instrumental eingeleitet durch die zweiteiligen Symphonies beziehungsweise das Vorspiel des concertohaften ersten Chorsatzes in O Praise the Lord with One Consent (Nr. 9). Sie legten in den Abstufungen der piano-Dynamiken zudem den beständigen Grundstock der hervorragend gewahrten, mit Bedacht auf die Akustik gewählten Ensemblebalance der Kölner Akademie und für den im Kontrast nicht zu kurz kommenden, beweglich-ansprechenden Ausdruck des Gesangs insgesamt, der lediglich in Florian Sievers‘ angenehm dramatischer gehaltenen Arie „The waves oft he sea rage horribly“ in O sing unto the Lord a New Song (Nr. 4) dann auf Seiten der Instrumente mehr entsprechenden Zug vertragen hätte.
Auch wenn Sievers‘ Tenor später minimale intonatorische Eckchen aufwies, stellte er seine artikulatorische Flexibilität und stilistische Reinheit mit herausstrahlender Bestimmtheit unter Beweis, zum Beispiel im pressfrei wie affektreif gemeisterten Duett und dem völlig souveränen „Against thee, only have I sinned“ in Have Mercy upon Me (Nr. 3) oder dem Duett „O worship the Lord in the beauty of holiness“ der Nr. 4. In ihm ließ sich in balsamisch-feierlicher Ästhetik verlieren, bestach Vokalpartnerin Elena Harsányi zugleich mit schlankem, aber nie zu dünnem, mit warmem und noblem, registerbreitem Sopran. Jener beherbergte Anmut und Glaubwürdigkeit sowohl für die beichtend-gelehrte Vergebungsbitte (Nr. 3) als auch die zärtlich-erfahrende Klarheit zu „God’s tender mercy knows no bounds“ (Nr. 9).
Lief bei manch höchsten Tessituraausflügen Nils Giebelshausens Tenors nicht immer alles so glatt, wie es sein noch weicheres, betontes Bemühen um den exakten Übertrag des grundlegend Federigen eigentlich unterstrich, legte Thomas Bonnis ausgeglichener und immer beeindruckender, ansteckender Bassbariton die so geschätzte Mustergültigkeit an runder Stimmführung und -Farbigkeit an den Tag. Lockeres Volumen, Stärke, Geschmeidig- und mühelose Verständlichkeit, gleichzeitig weiter angepasst an das Klanggerüst des Ensembles, sind folglich seine Markenzeichen, die stets aufgingen im sprudelnden Gotteslob. Solches, das in der Arie "That God is great" und in den erhabenen Läufen des Tuttis die erbauliche Wohltat untermauerte oder sich im „[…] to heaven their voices raise“ (Nr. 9) lautmalerisch wie bildlich elegant gleich hübsch-dezenter weißer Himmelswölkchen verflüchtigte. Es endete selbstverständlich in einem „Alleluja“ für den Herrn sowie Händels kleine, große Schätze, das RheinVokal-Festival und die Kölner Akademie.