„Ich glaube nicht, dass es möglich ist, Komposition zu unterrichten, und übrigens auch keine andere Kunstform“, sagt der belgische Komponist Stefan Prins. Er hat in Harvard promoviert, ist künstlerischer Leiter des flämischen Nadar Ensembles und seit eineinhalb Jahren Professor für Komposition an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden. Er glaubt ebenso wenig daran, dass man mit der abstrakten Kunstform Musik konkret Stellung nehmen kann zu aktuellen gesellschaftlichen Dilemmas. Aber er glaubt an die Kraft von Metaphern.
Sein gestern im Muziekgebouw Amsterdam uraufgeführtes Ensemblestück inhabit_inhibit ist ein solches metaphernreiches Werk, welches mit räumlich angeordneten Instrumenten (Sound Design Florian Bogner), elektronischer Verstärkung und Rückkopplungen körperlich erfahrbar macht, was es heißt, die Kontrolle zu verlieren. „Wir haben die Erde aus dem Gleichgewicht gebracht, und jetzt sind die Folgen außer Kontrolle. In meinem Stück geht es darum, wie wir in unserer Umgebung leben, aber auch um Hemmungen, um die Grenzen, auf die wir stoßen. Es ist inspiriert von der Frage: Wie können wir symbiotisch mit unserer Umwelt interagieren? Damit meine ich: Wie können wir das Gleichgewicht mit unserer Umwelt finden, ohne sie zu zerstören?”
Eine Achterbahnfahrt – so kann ich dieses erfrischende Konzerterlebnis am besten beschreiben. Prins‘ akustische Abenteuerlandschaft begann schon mit der Aufstellung: Der einfühlsame Schweizer Dirigent Baldur Brönnimann stand in der Mitte des Saals, neben ihm zwei Solisten des Ensemblekollektiv Berlin an Harfe und Klavier. Die in vier Blöcken um diese Mitte aufgestellten Zuschauer hatten jeweils ein aus Bläsern, Streichern und Schlagzeug bestehendes Quartett in ihrem Rücken. An den Schnittpunkten dieser Blöcke saßen vier weitere Solisten des Berliner Kollektivs mit so außergewöhnlichen Instrumenten wie Bassoboe und Bassflöte. Alle Solisten waren nicht nur mit Mikrophonen versehen, sondern hatten auch jeweils zwei Pedale zu Verfügung, mit denen sie u.a. die Lautstärke beeinflussen konnten. Die Hauptaufgabe dieser sechs Solisten war es nun, Rückkoppelungseffekte zustande zu bringen und diese stetig zu verformen. Je näher die Instrumente Richtung Lautsprecher kamen, desto größer wurde der Rückkopplungseffekt. Dieses Feedback beeinflussten die Solisten mit vereinzelten Spielaktionen und dem Klappern der Ventile oder Pedale (Klavier und Harfe). Zusätzlich manipulierten sie die Rückmeldungen mit Styroporbechern, Metallstöcken, Socken und Bierdosen. Letztere mit Berliner Logo landete nach einer heftigen Aktion direkt vor meinen Füssen. (Das kann kein Zufall sein, rief der Berliner in mir!)
Das niederländische Asko|Schönberg-Ensemble war klanglich wunderbar in Form. Obwohl ihre Rolle in dem immer wieder von Geräuschexplosionen aufgemischten elektronischen Klangfeld eher untergeordnet war, ging ein Großteil der musikalischen Spannung auf ihr Konto. Die Schlagzeuger Joey Marijs und Noè Rodrigo Gisbert bedienten ein merkwürdiges Arsenal von Instrumenten, welches vom Hammer bis zur Zahnbürste reichte und bestimmten damit immer wieder Klangfarben und Dynamik. Bläser und Streicher produzierten Klänge und Sounds, die obwohl über Mikrophone verstärkt, trotzdem deutlich im Raum zuzuordnen waren. So war der Zuhörer ständig damit beschäftigt, die verschiedenen Instrumente akustisch zu identifizieren und dann mit den Augen an ihren Spielpositionen aufzuspüren. Erst mit dieser visuellen Bestätigung konnte man sicher gehen, keiner elektronisch manipulierten Klangillusion auf den Leim gegangen zu sein.
Ich wünschte mir, dass es mehr Musikstücke gäbe, die die Bedrohung unserer Umwelt ebenso intensiv und eindrucksvoll in Klang übersetzen könnten wie es Stefan Prins mit inhabit_inhibit gelingt.