Die Bayerische Staatsoper ist so ziemlich das größte Repertoire-Haus der Welt. Die schiere Menge verschiedener Produktionen – 43 in der Spielzeit 2015/16 – bietet etwas für jeden Geschmack. Für die Besucher, die Aufregendes suchen, gibt es sieben neue Produktionen; für diejenigen, die das Altbewährte bevorzugen, sind alle Opern-Top-Ten geboten. Wenn Sie auf großartige Sänger aus sind, sind Jonas Kaufmann, Anja Harteros, Bryn Terfel, René Pape, Petra Lang und Joseph Calleja nur sechs von Dutzenden Starsängern, die ins Münchner Nationaltheater locken. Musikdirektor Kirill Petrenko vervollständigt dieses Bild mit einer Reihe hochkarätiger Gastdirigenten.
Für viele werden die Neuproduktionen Anhaltspunkt für die Fähigkeiten des Hauses sein, und auch hierbei ist das Ziel in der kommenden Saison Vielseitigkeit mit einer neuen Oper (South Pole), neuen Wagner- und Verdiproduktionen (Meistersinger und Ballo in Maschera), eine Kostprobe des französischen Barocks (Les Indes Galantes), eine selten gespielte russische Oper (Der feurige Engel) und die die einzige Oper eines Komponisten, den man hauptsächlich als Librettisten kennt und liebt (Mefistofele).
Arrigo Boito hat vielleicht die größte Bekanntheit für seine Libretti zu Verdis späten Opern Otello und Falstaff erlangt. Doch Boito war selbst auch Komponist, und obwohl er nur eine Oper fertigstellte, ist es eine düstere, faszinierende: Mit ihrer allerersten Produktion von Mefistofele und Starbass René Pape in der Titelrolle eröffnet die Staatsoper die Spielzeit.
Die Zeiten, in denen Opernsujets auf griechische Götter und königliche Paläste beschränkt waren, sind lange vorbei. Miroslav Srnkas South Pole zeigt dass Oper heute ihr Sujet aus den unwahrscheinlichsten Wendungen des Lebens gewinnen kann. Srnka und Librettist Tom Holloway erzählen die Geschichte zweier Versuche, den Südpol zu erreichen – dem von Roald Amundsen (der erfolgreich war) und dem von Robert Scott (der nicht gelang) – und versucht, die Motivation dahinter zu verstehen, das Unmögliche nur um des „weißen Fleckes inmitten einer weißen Landschaft“ willen zu versuchen. Kirill Petrenko dirigiert, Thomas Hampson und Rolando Villazón singen die beiden Entdecker.
Prokofjews 1919 entstandene Oper Der Feurige Engel steht nicht unbedingt auf der Liste der bekanntesten Werke für den durchschnittlichen Opernbesuchern. Es ist eine düstere Geschichte von Halluzination und dämonischer Besessenheit, die hauptsächlich wegen ihrer Schwierigkeit kaum aufgeführt wird. Neeme Järvi beschreibt es in einem Interview mit dem Magazin Gramophone so: „Man braucht bemerkenswerte Sänger... und einen großartigen Dirigenten für symphonisches Repertoire, einen, der aus der Oper eine Symphonie machen kann – aber im Opernhaus.“ Vladimir Jurowski hat diese Herausforderung angenommen, und er hat mit Evgeny Nikitin und Evelyn Herlitzius sicherlich zwei großartige Sänger an seiner Seite.
Calixto Bieito, der beliebteste schlimme Finger der Oper, befasst sich mit einer der erfolgreichsten Pariser Gran Opéras des frühen 19. Jahrhunderts – Halévys La Juive. Was Bieito aus Eugène Scribes kommerziellem Libretto machen wird, kann man nur mutmaßen, aber Halévys Musik ist satt und farbig, und die Gesangsbesetzung so anregend wie man es sich bei diesem Repertoire nur wünschen kann. 1835 wurden die Hauptrollen von Cornélie Falcon und Adolphe Nourrit gesungen, zwei der bekanntesten Sänger dieser Zeit. In dieser Produktion werden Roberto Alagna und Kristine Opolais versuchen, in ihre Fußstapfen zu treten, zusammen mit Aleksandra Kurzak und John Osborn in weiteren Rollen.
Johannes Erath bewegt sich mit Verdis Un ballo in maschera in bekanntem Gebiet und hat mit Zubin Mehta einen alten Hasen am Pult, der die Oper als „von Anfang bis Ende perfekt“ beschreibt. Ein formidables Liebesdreieck wird darin von Anja Harteros (die die Rolle der Amelia zum ersten Mal singt), Simon Keenlyside und Piotr Beczała gesungen.
David Bösch inszeniert Wagners Meistersinger von Nürnberg, eine Oper, in der die Konfrontation von traditionellem Regelwerk und künstlerischem Unterfangen in einem besonders lokalen Kontext gezeigt wird – sie wurde in München uraufgeführt. Petrenko leitet, der hocherfahrene Wolfgang Koch singt Hans Sachs, während man Jonas Kaufmann in der Rolle des Walter hört.
Zudem gibt es zwei neue Produktionen außerhalb des Nationaltheaters. Benjamin Brittens urkomische Sittenkomödie Albert Herring wird im Cuvilliés-Theater gegeben, dessen intimere Räumlichkeiten für das Format der Kammeroper passender sind. Auf der anderen Seite des Flusses (im Prinzregententheater) und am anderen Ende der operntechnischen Zeitspanne liegt Rameaus Les Indes Galantes. Ursprünglich wurde dieses Werk als „ballet héroique“ überschrieben, und es ist nur richtig, eine Produktion zu erwarten, in der Tanz dominiert. Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui ist zudem für die Regie verantwortlich, und zusammen mit Rameaus energetischer Musik und einer von Barockspezialist Cyril Auvity angeführter Besetzung sollten es aufregende Abende werden.
Was nun ist mit den Produktionen des „Standard“-Repertoires? Normalerweise würde man die Besetzungsliste überfliegen auf der Suche nach besonders ansprechenden Namen, aber in diesem Falle ist diese Liste dafür einfach zu lang, und ich habe Ihnen deshalb ein halbes Dutzend ausgewählt:
Im Oktober finden sich auf der langen Liste von Richard Strauss' Ariadne auf Naxos das Traumpaar Kaufmann/Harteros sowie Alice Coote als Komponisten. Und wenn Sie nicht nach München kommen, gibt es am 12. Oktober im Théâtre des Champs-Élysées in Paris die Gelegenheit, die gleiche Produktion zu sehen. Im Januar bringt Don Giovanni Erwin Schrott und Alex Esposito als flirtenden Don und dessen Diener zusammen (wie man es zuvor unter anderem in Covent Garden gesehen hat), mit Marina Rebeka und Véronique Gans in den Rollen der beiden Damen und Eri Nakamura, die als Zerlina Leichtigkeit und Charme versprühen wird. Der März hingegen lockt mit Wagners Fliegendem Holländer, mit Catherine Naglestad als Senta, Michael Volle in der Rolle des Holländers und Klaus Florian Vogt als Erik (die zweite Runde für die Opernfestspiele im Juli sieht übrigens genau so stark aus und zeigt Johan Reuter als Holländer).
Einige der Vorstellungen mit Top-Besetzung liegen im Zeitraum der Opernfestspiele im Juni und Juli, so zum Beispiel Turandot (mit Nina Stemme in the der Titelrolle, Maria Agresta als Liù und Johan Botha in der Rolle des Prinzen) und Donizettis Lucrezia Borgia (mit Edita Gruberová als Lucrezia, Pavol Breslik als Gennaro uand John Relyea als Herzog). Der absolute Höhepunkt für mich aber sind die drei Vorstellungen von Tosca, mit Jonas Kaufmann, Anja Harteros und Bryn Terfel unter der Leitung von Kirill Petrenko – diese Besetzung muss in der Opernlandschaft einer der Spitzenreiter des Jahres sein.
Fügt man dem noch Opern von einer Vielzahl von Komponisten von Berg, Bellini und Beethoven über Poulenc zu Rossini und beiden Straussen, mit einigem dazwischen, so hat man wahrlich eine Spielzeit für jedermann.
Dieser Artikel entstand im Auftrag der Bayerischen Staatsoper.
Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.