Um ehrlich zu sein, war ich bis jetzt eher skeptisch gegenüber Bühneninszenierungen von Oratorien und anderen geistlichen Werken: Ich denke da an die Inszenierung der Johannespassion und Messias an der ENO, Glyndebournes unausgereifte Dramatisierung der Matthäuspassion oder auch die jüngste Halb-Inszenierung des gleichen Werkes für die Berliner Philharmoniker. Als ich also hörte, dass das Holland Festival dieses Jahr mit der Niederländischen Oper zusammenarbeitet, um Monteverdis Vespro della Beata Vergine auf die Bühne zu bringen, war ich neugierig, aber auch vorsichtig. Es ist nicht so, als wäre ich ein Purist, aber diese visuellen Interpretationen haben bis jetzt nicht viel zu meiner Wertschätzung der Werke beigetragen, und oft litt die musikalische Qualität darunter. Bei diesem Event waren meine Ängste unbegründet, und diese Marienvesper stellte sich als eine zutiefst fesselnde Erfahrung heraus – visuell, auditiv und spirituell.
Die Vorstellung, die am Eröffnungswochenende des Festivals stattfand, feierte gleich zwei Jubiläen, das 70. des Holland Festivals and den 450. Geburtstag von Claudio Monteverdi. Der Veranstaltungsort, der Gashouder (Gasometer), der im neu entwickeltem Gaswerk-Areal im Westen Amsterdams liegt, war eine brillante Wahl. 1902 erbaut, ist es eine große, runde, säulenlose Halle mit beeindruckenden Stahlträgern an der Decke. Strukturell erinnerte es mich an das Roundhouse in London, aber da der Gashouder im Inneren keine Säulen hat, hat er ein viel größeres räumliches Potenzial und kann auf jegliche Art und Weise gestaltet werden. Darüber hinaus weist er eine großartige, fast Kathedralen-artige Akustik auf, in die sich der Dirigent Raphaël Pichon anscheinend verliebt und deshalb für seine Vesper gewählt hat.
Die Vorstellung wurde von Pierre Audi, dem scheidenden Direktor der Niederländischen Oper, in enger Zusammenarbeit mit Pichon und seinem Ensemble Pygmalion und dem belgischen Bühnenkünstler Berlinde De Bruyckere, geleitet. Im Programmheft nennt Audi diese Inszenierung „Mise-en-écoute”, also anstatt das Werk auf eine konventionelle Bühne zu bringen, kreierte er ein 360° „Schallkaleidoskop”, indem er die Sänger sich in dieser riesigen Arena bewegen ließ. Wir wurden mit sich ständig ändernden Klangbilder verwöhnt – von einem einzelnen Tenor bis zu einem zehnköpfigen Chor – die aus allen Richtungen kamen, von vorne, hinten, den Seiten und von oben und unten.
Pichon und seine Instrumentalisten waren auf einer erhöhten Bühne an einem Ende platziert, und das Publikum in Fächer-förmigen Stadionsitzen. In der runden Arena dazwischen war De Bruyckeres riesige, subtil beleuchtete Skulptur Cripplewood (erstmalig bei der Biennale in Venedig 2013 gezeigt), welche die Blicke auf sich zog – fast wie ein Altar in einer Kathedrale. Ein umgestürzter Baumstamm mit knorrigen Ästen und Zweigen verschmolz mit menschlichen Gliedmaßen und Knochen, ein Bild der menschlichen Sterblichkeit, der Natur und der Vergänglichkeit.