In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreichte die Beliebtheit großer Chorwerke ein Rekordhoch in Europa; zahllose Chororganisationen sprossen wie Pilze aus dem Boden. In Wien allein sah man in diesem Zuge den Aufstieg sowohl des Singvereins als auch dem Chor dieses Abends, der Wiener Singakademie, die beide 1858 gegründet wurden – um nur ein paar zu nennen. Dieses Fieber führte zu einem Ausschlag von Vokal- und Orchesterkompositionen, einschließlich Antonin Dvořáks Die Geisterbraut, in Auftrag gegeben für das Birmingham Music Festival und dort zwei Jahre später, 1885 nach der Plzeňer Uraufführung im selben Jahr gegeben.
Die Handlung entstammt einer weit verbreiteten Gespenstergeschichte, die auf Svatebni kosile (wörtlich Das Hemd der Braut) basiert, Teil einer Sammlung mit dem Titel Kytice z povesti n’árodních verfasst 1773 von dem tschechischen Dichter Karel Jaromír Erben. In dieser Ballade ist das liebeswehe Mädchen endlich mit ihrem toten Geliebten vereint, der sofort mit einem Trick versucht, sie zu einer Mitternachtshochzeit auf dem Friedhof zu überreden, nachdem er sie durch matschige Sümpfe voller Geister und heulender Tiere gezerrt hat. Bei jeder Wegbiegung ermuntert er sie, Zeichen ihres Glaubens abzulegen; zuerst ihr Gebetsbuch, dann ihr Rosenkranz und schließlich das goldene Kreuz, das sie von ihrer Mutter bekommen hatte, werden nacheinander vom Geist weggeworfen. Trotz alledem ist es der Glaube des Mädchens, der es am Ende rettet. Ihre Gebete um Erlösung werden erhört und jeder Hahn kräht wie aus einem Schnabel, Vorboten des Untergangs ihres toten Geliebten und seiner gespenstischen Kumpane. Fetzen eines weißen Hemdes liegen auf jedem Grabstein als Mahnmal daran, dass ohne ihren starken Glauben ihre weißen Glieder in Fetzen gerissen worden wären, genau die das Hemd.
Obwohl Dirigent Cornelius Meister nicht das beste Gefühl für die tschechische Sprache gehabt haben mochte – eine der Phrasierungen ergaben weniger Sinn, als ich mir gewünscht hätte – setzten die Wiener Symphoniker doch den Orchesterklang in Dvořáks üppiger Instrumentierung wunderschön um. Es gab zwar gelegentliche Balanceprobleme, besonders im letzten Sopransolo, einem leisen Gebet zur Jungfrau Maria, das leider vom Orchester eher zugedeckt wurde, doch Meister hielt alles bewundernswert zusammen und konnte mit einem brillanten Ensemble von Solisten arbeiten, deren Verständnis der Sprache und Sprachlichkeit tadellos war.
Sopran Simona Houda-Šaturová, die die Rolle der Braut in spe sang, war für mich eine angenehme Entdeckung. Ihre Stimme ist klar, wohlplatziert, und nutzt sie völlig. Sie sang nicht nur, sondern hauchte der Geschichte Gefühl ein. Ihre Farbe und ihr Timbre verbanden sich gut im dem des Bombentenors Pavol Breslik, der dem toten Protagonisten eine verführerische, romantische, beinahe heroische Qualität verlieh und die Figur dadurch beängstigender machte, als sie es gewesen wäre, hätte seine Stimmfarbe zum Text gepasst. Bassbariton Adam Plachetka war ein ausgezeichneter Erzähler. Die Klarheit seiner Diktion, zusammen mit seiner wunderschönen Farbe und seinem Legato machten ein paar seiner Szenen zusammen mit dem Chor zu absoluten Höhepunkten. Hut ab auch vor der Singakademie und ihrem Leiter Heinz Ferlesch, die Dvořáks Musik mit Elan meisterten, Geister spielten und Einführung, brutales Drama und rechtschaffenen Kommentar beitrugen.
Diese 80-minütige, nicht-szenische Minioper ist so bemerkenswert präsent in ihrem Aufbau und ihrer Präsentation, dass die Geister noch durch unsere Gedanken wirbelten und der Hahnenschrei noch in unseren Ohren hallte, als wir den Saal verließen. Ich kam nicht umhin, mich zu fragen, wie es möglich war, dass noch niemand diese Chorballade zu einem animierten Werk gemacht hat. Dvořák war wahrhaftig einer der innovativsten, flexibelsten und konsequent hochqualitativen Komponisten der Romantik, und dieses Stück ist ein wunderbares Beispiel seiner Fähigkeit, folkloreske Qualitäten mit brillanter Kompositionsweise zu verbinden – mit dem Bonus einer soliden Moralgeschichte.
Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.