Daniel Barenboims Zklus von Schubert Symphonien mit der Staatskapelle war eines meiner Konzert-Highlights der letzten Monate. Die ersten zwei Konzerte, mit den ersten sechs Symphonien, fühlten sich wie ein unbeschwertes, fröhliches Beisammensein an, dem Barenboim selbst als vornehmer Geist vorsaß: schmeichelnd und ermutigend, führend, aber nie diktierend.

Aber diese ersten Werke gehen auf Schuberts jungen Jahre zurück und obwohl sie voller Ambition und herrlicher, lebensbejahender Musik sind, tragen sie nicht das Gewicht – der Erwartung, des „Meisterwerk” Epithetons, sogar der posthumen Entdeckung – seiner „Unvollendeten" und „Großen C-Dur". Für dieses dritte Konzert des gemächlichen ersten Zyklus – ein zweiter Zyklus ist bereits im Gange und wiederholt alle innerhalb einer Woche – hat Barenboim die Anordnung des Boulez Saals entsprechend angepasst, um ein wesentlich größeres Orchester unterzubringen, unter anderem waren die Streicher 12.10.8.6.4 besetzt (verglichen zu 8.6.4.3.2 bei den vorherigen Konzerten).

Die Sitze wurden so umgestellt, dass das Orchester auf einer Seite des Raumes Platz fand, wodurch das Gefühl etwas verloren ging, selbst in der Mitte zu sein, und auch die Möglichkeit, die Anordnung der vorangegangenen Konzerte für die zweite Hälfte wiederherzustellen. Barenboims passte seine eigene Herangehensweise ebenfalls an. Aber dennoch näherte er sich der „Unvollendeten” gewohnt sanft, was es beiden Sätzen erlaubte, sich natürlich zu entfalten und ermöglichte der Staatskapelle der schieren Qualität ihres Spielens Ausdruck zu verleihen.

Das bedeutet allerdings nicht, dass es eine seichte Lektüre war. Tatsächlich war es eine mit enormer Intensität und Kraft. Raum und Ausdauer verhinderten sicherlich nicht das Drama, besonders in einer Durchführung (keine Wiederholung der Exposition, wie auch schon bei den anderen Werken des Zyklus) des öffnenden Allegro moderato. Dieses wurde meisterhaft in großen wogenden Wellen aufgebaut, die Staatskapelle reizte hier die Akustik des Boulez Saals aus – was die Coda ungewöhnlich niederschmetternd, entsetzlich sogar, machte. Die Holzbläser boten eine tröstende Stimme in einem ruhigen Andante con moto, ein stabiler Auftritt, der es vermied in die Ungeheuerlichkeit abzurutschen in den erhabenen Momenten. Die erste Oboe war, im Besonderen, wunderbar, wie auch die Klarinette, die oft in eine nicht mehr wahrnehmende Stille verschwand.

Barenboims Herangehensweise an die letzte Symphonie war weniger befriedigend. Er schien hier nicht so sehr gewollt zu sein, das Werk sich selbst spielen zu lassen, wie es bei den frühen Symphonien der Fall war, oder erlaubte nicht den gleichen Sinn für einen ungehinderten, unaufhaltsamen Fluss wie er es bei der „Unvollendeten” getan hatte. Das Eröffnungsthema war, zum Beispiel, behutsam geführt und gestaltet, aber die Voreiligkeit, mit der wir ins Allegro ma non troppo rannten ließ erahnen, was bevorstand. Es gab einige aufregende Tempowechsel, während der Klang des Orchester mitreißend anschwellen konnte – durch das martiale Klopfen der Pauken begünstigt – nicht zuletzt in der stürmischen Durchführung. Die pìu moto Coda wurde zu einer Art Dionyischem Rausch aufgewirbelt.

Das erstaunliche Andante con moto fühlte sich durchscheinender an, lyrische Großzügigkeit schmückte die Entwicklung zu einer angemessen schmetternden zentralen Dissonanz – allerdings gefolgt von einer übertriebenen Pause. Es gab weitere phrasenhafte  Ergänzungen im Scherzo sowie auch eine kurze eingeführte Pause vor der öffnenden Phrase – und auch bei deren Wiederholungen – aber der gedämpfte Übergang zu einem ausgedehnten Trio war wunderbar. Das Finale kann selten mit einem solchen Schwung aufgeführt worden sein: aufregend, keine Frage, nicht zuletzt aufgrund der Geschicklichkeit, mit der die Streicher das Tempo bewältigten, aber nahe der Willkür, und vom Dirigenten weiter gedrängt und gezogen.

Barenboim bemühte sich um einen engen Griff, und einige andere Punkte während des Stückes, die mitunter diese charakteristische belebende Luft aus der Musik nahmen. Weitere Eingriffe unterstrichen die phrasanhaften Stellen, die kaum zusätzliche Hilfe benötigen. Aber beinahe hätte er es geschafft, und man kann seine Kühnheit und Risikobereitschaft nur bewundern. Diese „Große” ist nicht ganz so überzeugend wie seine mächtige „Unvollendete”, aber sie war nichtsdestotrotz fesselnd und faszinierend.

 

Aus dem Englischen übertragen von Elisabeth Schwarz

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