Den 25. Jahrestag des Mauerfalls beging Deutschland mit einer Jubiläumswoche, deren Auftakt am 5. November die Wende-Komödie Bornholmer Straße machte und stolze 6,99 Mio. Zuschauer vor die Fernseher holte. Besonders in der Hauptstadt Berlin, wo bis heute deutliche Spuren der Mauer aus der Zeit des Kalten Krieges zu finden sind, wurde diesem Ereignis in zahlreichen Veranstaltungen gedacht, denen sich die Berliner Philharmoniker mit diesem Konzert anschlossen.
Wer hätte allerdings vor 25 Jahren geglaubt, dass die Mauer jemals fallen würde. Damals dachte man wohl zunächst, der Mauerfall wäre ein Scherz; heute erinnert man sich an die DDR beinahe mit Nostalgie. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass die Trennung für das deutsche Volk eine schmerzhafte Zeit war, der hier mit Szymanowskis Stabat Mater Ausdruck verliehen wurde. Sie schildert die Trauer der Heiligen Mutter über den Verlust ihres Sohnes in sechs Sätzen, und die Musiker heilten damit an diesem Abend alte Wunden mit Katharsis-Effekt. Obwohl der Text auf biblischem Geschehen basiert, ist er nicht etwa wie erwartet im Latein der geistlichen Musik, sondern auf Polnisch verfasst. Dadurch verliert die Musik etwas an religiösem Charakter, und die schiere Trauer wird deutlicher hervorgehoben, wobei deren musikalische Umsetzung nicht nur leise wehmütig, sondern auch leidenschaftlich klagend ertönte. Die Solo-Stimmen von Sally Matthews (Sopran), Bernarda Fink (Alt) und Hanno Müller-Brachmann (Bariton) entfalteten sich drastisch dazu, machten die Musik noch eindringlicher. Obwohl der Komponist sich für eine kleinere Instrumentalbesetzung mit Chor und drei Solisten entschieden hatte, wurde sein Werk von den Berliner Philharmonikern als Großorchestergruppe interpretiert. Dadurch ergaben sich tiefere und dichtere Orchesterklänge, die der Musik eine zusätzliche Dramatik verliehen.
Das auffällige Thema aus Terzen und Sekunden wird durch zahlreiche Wiederholungen sehr präsent, und Simon Rattle und die Philharmoniker kosteten jede einzelne mit galanter Artikulation voll aus. Der vierte Satz hingegen erklang ohne Orchesterbegleitung a cappella, wobei man sich eher an konventionelle Kirchenmusik erinnert fühlte als beim Rest des Werkes. Dabei präsentierte sich der Rundfunkchor Berlin fein und sinnlich bei der Begleitung der Solistinnen. Der Schluss ohne „Amen“-Vertonung, ein Schlussakkord ohne die gängige plagale Kadenz, verbreitete eine friedliche Stimmung im Konzertsaal, ganz so, als ließe der Schmerz des Vergangenen endlich nach und als käme der Trauernde etwas zur Ruhe.