Herbert Blomstedt beeindruckte mit Bruckners Neunter in Leipzig, doch eröffnet wurde das „Große Concert“, wie die symphonische Konzertreihe des Gewandhausorchesters heißt, durch Gewandhaus-Organist Michael Schönheit, der zunächst Liszts Variationen über Bachs Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen, dann Bachs Präludium und Fuge Es-Dur, BWV 552 spielte.

Das erste Stück klang unter seinen Fingern diszipliniert und im Ton sehr zurückgenommen, was angesichts der Heftigkeit, mit der Liszt der Vorlage begegnet war, doch erstaunte. Im zweiten Werk ließ er dagegen die Schuke-Orgel im Großen Saal des Gewandhauses zu einem Orchester werden, wobei die Kombination der Themen in der Fuge nicht immer ganz deutlich hervor zu klingen schienen. Was aber schön herauskam, waren die durch die Taktwechsel der unterschiedenen Formteile deutlich voneinander abgesetzten Charaktere. Sehr überzeugend gestaltete Schönheit den Schlussabschnitt wie eine Gigue.
Herbert Blomstedt kennt das Gewandhausorchester so gut, dass er sich darauf verlassen kann, dass die Musiker und Musikerinnen nicht allein die Noten der Neunten Bruckners spielen können, sondern diese Symphonie auch so vortragen wollen, wie er sie sich ihre Gestaltgebung in mehr als einem halben Jahrhundert erarbeitet hat. Stets tritt er, der nichts dem Augenblick überlässt, gut vorbereitet vor sein Orchester, um die Strukturen des von ihm geliebten Werkes aufzuhellen und zu verdeutlichen, ohne seine Auffassung durch irgendeine subjektive Zutat zu verdunkeln.
Blomstedt ließ das Orchester weder hier dunkel raunen noch dort in grellen Tönen Affekte erzeugen, um Bruckners Tonsprache aufzuladen, sondern stellte sein Dirigat der Partitur unter das Ideal der Transparenz. Wie aus vergangener Vorzeit ließ er das Hörnerthema der Introduktion wie aus der Ferne erklingen. Diese Aufführung gelang auch deshalb so vorzüglich, weil die Hörner glänzend aufgelegt waren. Mit ihnen konnte Blomstedt in den mehrstimmig komponierten Überleitungspartien stets die auf dieses Thema zurückgehende Hauptstimme vorsichtig hervortreten lassen. Dass dabei Stimmen hörbar wurden, die in anderen Aufführungen zumeist untergehen, wäre als ein Nebeneffekt zu bewundern; denn Blomstedt ging es darum, mit seinem aufdeckenden Durchblick subkutane Zusammenhänge zu knüpfen, um eine Form freizulegen, die unterhalb der Fassade ruht.
Im zweiten Satz brachte Blomstedt regelrechte Maschinenmusik zu Gehör, ohne, dass auch nur entfernt die Karikatur eines Scherzos zu Gehör gekommen wäre. Messerscharf artikulierte er mit sparsamen Zeichen den unerbittlichen Rhythmus heraus, unter dessen entfachter Wucht sich die Ländler-Anklänge schnell zu verflüchtigen hatten.
Das Adagio nahm er als das Finale, zu dem es geworden ist, weil Bruckner den vierten Satz nicht mehr vollenden konnte. Blomstedt kann sich, zu Recht nach meiner Ansicht, nicht dazu entschließen, die posthume Rekonstruktion zu dirigieren, die zwar Bruckners gewollte Konstruktion der ganzen Symphonie zumindest erahnen lässt, letztlich aber im Vergleich zu den anderen drei Sätzen doch sehr dünn klingt. Den Schreckensakkord bäumte Blomstedt als einen Schrei aufbäumen, doch das Gewicht legte er auf die religiöse Weihe, die er in der ihm angeschlossenen Coda breit entfaltete.
Das Publikum verharrte in Stille bevor der Applaus einsetzte.