Antonio Salieri war mit dem Textdichter Lorenzo Da Ponte befreundet, hatte bereits sechs Textbücher von ihm vertont. Er sollte ursprünglich auch Così fan tutte nach Da Pontes Libretto komponieren, doch nach wenigen Nummern wandte sich der berühmte Antipode von Wolfgang Amadeus Mozart am Wiener Burgtheater ab von diesem Stoff; Da Ponte übergab das Textbuch als dritte Opernvorlage nach Don Giovanni und Le nozze di Figaro an Mozart, eine aus heutiger Sicht sicherlich glückliche Fügung.

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Wiard Witholt (Guglielmo), Avtandil Kaspeli (Don Alfonso) und Claudio Zazzaro (Ferrando)
© Jan-Pieter Fuhr

Der Zyniker Don Alfonso hat seine ganz eigene Meinung über die Frauen. Seine verliebten jungen Freunde Guglielmo und Ferrando provoziert er zu einer Wette: Werden ihre Verlobten Fiordiligi und Dorabella ihnen die Treue halten, wenn die Männer ihnen den Rücken zukehren und vermeintlich als Soldaten in die Welt ziehen? Das Experiment, verkleidet zu erscheinen und den Frauen den Hof zu machen, erzeugt Komik ebenso wie größte Not, Gewissensbisse und letztlich die Frage: Was ist es, das in mir fühlt, mich verführt?

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Natalya Boeva (Dorabella), Claudio Zazzaro, Wiard Witholt und Jihyun Cecilia Lee (Fiordiligi)
© Jan-Pieter Fuhr

Bei der Neuinszenierung am Staatstheater Augsburg lässt sich Regisseurin Nora Bussenius, die in Ost Berlin geboren wurde und Schauspiel- und Opernregie an der Bayerischen Theaterakademie in München studierte, vom Begriff „Experiment“ inspirieren. Sie verlegt die Handlung anfangs in eine Örtlichkeit, angesiedelt zwischen sterilem Labor und futuristisch modernem Bungalow mit weiß getünchten Wänden (Christin Vahl, Bühne), deren ovale Fensteröffnungen wie Mandelaugen erscheinen und durch Kulissenschieben immer wieder ihre Form ändern. Lebhafte, oft zu unruhige Videoprojektionen kommentieren die Situationen.

Don Alfonso führt hier sozialpsychologische Experimente mit den Paaren durch; an langen Spiralkabeln hängen die Männer da, machen vorsichtige Schritte in eine Realität. Dass dabei bewegte Schnittbilder von Embryonen in der Fruchtblase projiziert werden, soll offenbar den Entwicklungsbedarf der Versuchsgruppe ausdrücken. Und ebenso zu Beginn verkabelt, trotz aufwändig kleidsamer Spitzen-Dessous und Rokokoröckchen, sind auch die Frauen, die die Spielregeln im Hintergrund aber nicht kennen.

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Claudio Zazzaro, Natalya Boeva, Jihyun Cecilia Lee und Wiard Witholt
© Jan-Pieter Fuhr

Der findige Wissenschaftler hat zuvor auch ein vielseitiges Roboterwesen entwickelt, Despina mit Namen; sie dient ihm als Assistentin, lernt gleichzeitig eine künstliche Intelligenz in der Beobachtung der jungen Menschen, ihrer Sehnsüchte, Hoffnungen und Enttäuschungen. Im Verlauf wird sie schnell erfahrener und selbstbewusster, und wenn der ungeschminkte Alfonso sie im zweiten Akt auf den Schultern herumtragen muss, soll das sicher ein Zeichen sein, wer hier die Hosen anhat!

Ob in der „Scuola deglia amanti“ gelernt, wie Mozart sein Dramma giocoso auch nannte, oder durch Lebenserfahrung vorhersehbar: die anfänglichen Treueschwüre der beiden Damen geraten ins Wanken, erst recht, als Ferrando und Guglielmo zum Schein Gift nehmen und nur durch einen Kuss vor dem sicheren Tod bewahrt werden könnten. Don Alfonso gewinnt seine Wette.

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Wiard Witholt, Natalya Boeva, Jihyun Cecilia Lee, Claudio Zazzaro
© Jan-Pieter Fuhr

Im zweiten Akt dominiert ein teilweise durchsichtiger Kubus die Szene, der zunächst, ähnlich wie eine Büchse der Pandora, vorsichtig umspielt wird. Wenn deren Wände später einstürzen, geben sie den Blick frei in ein Stück grüner Natur, die in ihrer unerwarteten Impression zur erotisierenden Spielwiese für Dorabella und Guglielmo wird. Zum erkundungsfreudigen Spaziergang waren zuvor bereits Fiordiligi und Ferrando aufgebrochen. In die Experimentierfreude der beiden Männer mischt sich bald der bittere Beigeschmack, am Ausgang der Versuchsreihe selbst mitschuldig zu sein. Da hilft auch Alfonsos „Trost“ nicht viel, der eigentlich singen müsste: „Così fan tutte e tutti!“

Natalya Boeva (Dorabella ) und Jihyun Cecilia Lee (Fiordiligi) © Jan-Pieter Fuhr
Natalya Boeva (Dorabella ) und Jihyun Cecilia Lee (Fiordiligi)
© Jan-Pieter Fuhr

So ist ein bedrückendes Gefühlschaos entstanden, zumal wenn am Ende die beiden neu zusammengewürfelten Paare sich beinahe von einem falschen Notar verheiraten lassen. Daraus gibt es kein spielerisches „Zurück auf Los“; zu hart die Lektion, die Da Ponte die beiden Paaren und die Zuschauer lehrt. Da wirkt auch Mozarts Schluss, im Vergleich zur genüsslichen Ausdehnung mancher Arien, geradezu überhastet, als ob ein gutes Ende zeitgenössische Kritiker hätte befriedigen sollen. So wird, ähnlich wie in vielen anderen Inszenierungen, auch in Bussenius' Regie offen gelassen, wie letztlich die Geschichte der beiden Paare weitergeht. Sicher ist nur, dass Don Alfonso zu Verzeihung auffordert, sie der Macht der Liebe vertrauen sollen.

Domonkos Héja formte mit den Augsburger Philharmonikern und dem Opernchor neben dem Orchestergraben ein stimmiges Opernerlebnis und erreichte eine ebenso prägnante und ungestüme wie schwelgerische Klangsprache, in die Naturtrompeten und Naturhörner eine historisierende Note brachten. An den elektronisch akustischen Spielereien und synthetischen Einsprengseln zu den Rezitativen hätte Mozart vermutlich Spaß gehabt.

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Olena Sloia (Despina)
© Jan-Pieter Fuhr

Nur sechs Gesangsrollen sind Teil dieser Liebeskomödie; beeindruckend dass alle aus dem Augsburger Ensemble so hinreißend besetzt werden konnten. Die herrlichen Duette, Terzette, ja Sextette waren Höhepunkte des Abends. Als vollstimmiger Don Alfonso begeisterte Avtandil Kaspeli. Wiard Witholts ebenso schmeichelnder wie kräftiger Bariton zeigte einen virilen Guglielmo. Claudio Zazzaro krönte seinen Ferrando im wunderschönen „Un'aura amorosa”. Zur nicht nur stimmlich sinnlichen Dorabella wurde Natalya Boeva; in wundervollen Sopranhöhen strahlte Jihyun Cecilia Lee als Fiordiligi. Sehr selbstbewusst gestaltete Olena Sloia die Despina, die Witz ins Geschehen brachte und immer mehr menschliche Züge annahm. Auf den Regieeinfall, Despina am Ende mit einem künstlichen Embryo im Lichterkranz schwanger werden zu lassen, hätte man vielleicht auch verzichten können. Glanzlichter gab es genügend in dieser Augsburger Così!

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