Ein prächtiger Coup ist den Bamberger Symphonikern da gelungen: sie verbindet seit der Saison 2022/23 eine künstlerische Partnerschaft mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Und weil die beiden Chefs, Jakub Hrůša und Sir Simon Rattle, sich ebenfalls gut verstehen, wurde auch in dieser Spielzeit ein Konzerttausch in den Konzertsälen der Partner vereinbart. Nach 2023 – damals mit Christian Thielemann – spielte nun das BRSO wieder in der Bamberger Konzerthalle; Sir Simon hat das Programm mitgebracht, das am Vorabend auch im Herkulessaal der Münchner Residenz zu hören war. Hrůša wird im Mai 2025 mit den Bambergern in München auftreten.

Sir Simon Rattle © Marian Lenhard
Sir Simon Rattle
© Marian Lenhard

Eine ungewöhnliche Programmfolge, die auf unbekannten Pfaden Witterung aufnimmt: verträumte andalusische Klänge des spanischen Komponisten Manuel de Falla vor der Pause. Danach jazzoid aufgeladene Hits, allesamt Erstaufführungen des Orchesters, in denen die BRSO-Musiker atemberaubend schnell zur Big Band mutierten.

Nur in wenigen Stücken ist das Werk de Fallas auch über Spanien hinaus bekannt geworden; neben den Nächten in spanischen Gärten ist die Ballettsuite El sombrero de tres picos (Der Dreispitz) eine der Ausnahmen. Es ist die Geschichte einer Müllersfrau, die auf dem Volksfest neben dem Stierkampf mit ihrem Auftreten zwischen dem hässlichen Müller und dem ältlichen, sie unbeholfen verfolgenden Corregidor lavieren muss. Klangwirksam begann das Vorspiel mit Paukenschlägen, Trompetenfanfaren, Kastagnettengerassel und „Hoi“-Rufen der Streicher, dann kündigte die israelische Mezzosopranistin Rinat Shaham als Müllersfrau, von der Orgelempore hinter dem Orchester aus, die Geschichte an: „Verheiratete Frau, schließ’ gut die Tür ab!“. Im Fandango bot die Müllerin ihre Verführungskünste auf, von Shaham zwischen duftiger Verschleierung und rhythmischer Werbung wundervoll sprühend ausgeleuchtet, in klarer einnehmender Sopranhöhe.

Des Müllers Antwort dann im Orchester, nun in der Farruca des Flamenco. Einwände des Corregidors malte das Solofagott realistisch und keck aus. Im großen Versöhnungsfest warfen sich Rattle und das Orchester in de Fallas lebendig zuckenden Rhythmus und das Pikant-Tänzerische der nationalen Melodie, kosteten genussvoll impressionistische Farbspiele aus: ein herrliches Solo des Englischhorns, lustiges Gezwitscher von Piccolo- und Querflöten. Selbst das augenzwinkernd servierte Motiv aus Beethovens Schicksalssymphonie würzte den sich immer schneller kreisenden, unwiderstehlichen Drive der Tänze.

Wann dürfen Klarinetten und Saxophone einmal in der ersten Orchesterreihe Platz nehmen? Es gibt nur wenig Klassik, in der ein Symphonieorchester zur Big Band werden kann, und Sir Simon, selbst ausgebildeter Schlagzeuger, kennt die Literatur wie kaum ein anderer. Mit Igor Strawinskys Ebony Concerto, 1945 für den Klarinettisten Woody Herman und seine Band geschrieben und auf das Ebenholz des Instruments ebenso anspielend wie die einfließenden Blues-Rhythmen, ging es markant hämmernd wie melancholisch weiter. Christopher Patrick Corbett machte aus der artifiziellen Herbheit des Stücks für sich einen virtuos swingenden Kurzstreckenlauf.

Loading image...
Sir Simon Rattle dirigiert das BRSO
© Marian Lenhard

Zur wilden Jam-Session wurde Leonard Bernsteins Prelude, Fugue and Riffs. Die ersten beiden Abschnitte imitieren barocke Satzformen, gaben den Saxophonen und Blechbläsern viel Raum für Klangkunst. Im dritten Satz dann trat Stefan Schilling mit der Soloklarinette in prägnant kurzer Jazzharmonik hervor.

Für das Bach-Jahr 2000 hatte der argentinisch-jüdische Komponist Osvaldo Golijov eine Markus-Passion geschrieben, die die Leidensgeschichte aus lateinamerikanischer Sicht erzählt. Sie spielt auf der Straße, wo Neuigkeiten durch Stimmen und Trommeln weitergegeben werden. Jesus ist ein Schwarzer; seine Kreuzigung wird am Ende eine wild aufbegehrende Tanzszene aus Samba- und Comparsarhythmen. Das Klavierduo Katia und Marielle Labèque, von den kubanischen und brasilianischen Rhythmen fasziniert, gab eine Bearbeitung für zwei Klaviere, Percussion und Orchester beim venezolanischen Pianisten und Komponisten Gonzalo Grau in Auftrag.

Dessen temperamentvolle Suite Nazareno, bei der sich Minimal Music, Mambo und lateinamerikanische Percussion ein Stelldichein geben, wurde zum Höhepunkt im zweiten Konzertteil. Tango und Jazz, Meditation und Ritual trafen sich begeisternd; die Wiedergabe mit den Schwestern Labèque unter Simon Rattle war, was Perfektion und Klangregie, solistische Prägnanz und fast fanatischen Impetus angeht, schlichtweg herausragend. Jubel und Standing Ovations des Publikums für dieses ungewöhnliche Musikerlebnis in der Bamberger Konzerthalle, Wiederholung dringend erwünscht!

****1