Barrie Koskys Inszenierung an der Wiener Staatsoper zeigt Don Giovanni in einer archaischen, kargen Landschaft, die für verbrannte Erde, und wohl auch für die spirituelle Unfruchtbarkeit eines Menschen steht, der zwar seine Mitmenschen (Frauen und Diener) zur Befriedigung braucht, aber selbst nur lustvoll Chaos sät. Dieser Hintergrund spiegelt sich auch die Strukturlosigkeit der Titelfigur, die als Wiedergänger von Gott Dionysos kein Zeitgefühl kennt. Die Struktur kommt in diesem Fall von Koskys meisterlicher Personenregie, die an diesem Abend zwar bestens umgesetzt wurde, an dem aber etliche der großen Arien unter den Erwartungen blieben.
Die rühmliche Ausnahme bot Peter Kellner, der eine Säule des anhaltenden Erfolgs von Koskys Mozart-Da Ponte-Zyklus für die Wiener Staatsoper ist: als Figaro und als Guglielmo in Così fan tutte, und eben auch als Leporello. Er gab eine famose Katalogarie zum Besten, und das ohne Liste, BHs, oder was man sonst an Untermalung schon zu sehen bekommen hat. Bei Kosky muss Leporello, sich an die Stirn tippend, Don Giovannis Eroberungen nämlich im Kopf haben, da diese Regiearbeit beinahe requisitenfrei bleibt. Gleich zu Beginn, in seinem Frust, Diener zu sein, wirkte Kellner fast wie ein Lausbub, der sich überlegt, wie er den Anordnungen seines Vaters entziehen kann. Auch das Nachäffen von Don Giovannis großspurigem Gerede in der Verkleidungsszene war köstlich und noch besser gelungen, als man es üblicherweise zu hören bekommt.
Etienne Dupuis ist ein eher väterlicher Typ und daher keine offensichtliche Besetzung für Don Giovanni. Allerdings scheinen ihm unberechenbare Typen außerhalb der gesellschaftlichen Norm wie zuletzt Rodrigo in Don Carlo zu liegen. Die Verführungskraft seines Don liegt in einer anarchischen Leichtigkeit des Seins, wo alles erlaubt ist, was (zumindest ihm) gefällt, oder gerade praktisch erscheint. Dazu gehört der Mord am Komtur, mit der Kosky schon am Anfang ein starkes Tableau schafft, das sich am Schluss wiederholt und somit eine Klammer über diese Inszenierung bildet: Der Don, der Komtur und Leporello ganz nah zusammen, einander praktisch umschlingend – vom Tod des Komturs bis zum Tod des Don schließt sich ein Kreis.
Ganz allgemein beeindruckten an diesem Abend die Szenen, in denen Männer unter sich sind, meist mehr als jene mit weiblicher Beteiligung. Das ist einerseits schade, weil bei Mozart die Frauen grundsätzlich der Motor allen Handelns sind, doch kam man in den Genuss einer fantastisch gespielten Szene, in der Don und Diener, leicht angeheitert, erstmals die Stimme des toten Komturs vernehmen – und dazu mit einem Stein der kargen Felsenlandschaft spielen, gleichzeitig Symbol für die Statue des Komturs, die es bei Kosky (natürlich) nicht gibt. Es ist ein wunderbares Bild für einen furchtlos-spielerischen Zugang zur Welt, vielleicht auch für das sprichwörtliche Kind im Mann, womit wir wieder bei der Leichtigkeit des Seins wären.

Diese fehlte aber in „La ci darem la mano“, denn da klang Dupuis‘ Stimme nach einigen lauten Ausbrüchen im ersten Akt ein wenig strapaziert, auch wenn diese Anmache bei Zerlina prinzipiell genauso abgenutzt klingen darf wie die Serenade, bei der sich dieser Don aber ins Zeug legte. „Fin ch’han dal vino“ ist schon allein aufgrund des Tempos eine Herausforderung, und die eine oder andere Divergenz zwischen Bühne und Graben sind dabei nicht unüblich. Es muss aber auch nicht immer offensichtlich sein wie an diesem von Philippe Jordan geleiteten Abend, der zwar mit einem spannenden Dirigat der Ouvertüre begann, aber im ersten Akt eher mit gemütlichem Tempo unterwegs war. Hervorragend hingegen die Auftritte der Bühnenmusik, die in Koskys Regie auch prominent herausgestellt werden.
Großen Eindruck machte Ante Jerkunica als Komtur. Er verfügt über eine voluminöse Bassstimme, und seine Erscheinung lässt ein klein wenig an Vin Diesel denken, auch wenn der Komtur weniger fast als furious ist. Man kann nicht umhin, von dem fast surrealen, kühlen Klang, der für diese Partie perfekt ist, beeindruckt zu sein. Am anderen Ende des männlichen Stimmspektrums ist bei Don Ottavio schmelzendes Legato gefragt, doch wirkte Tenor Edgardo Rocha in beiden großen Arien bei ansonsten guter Leistung etwas angestrengt.
Die Damenriege führte Louise Alder als Donna Anna an, die ein wunderbares „Non mi dir“ sang; für „Or sai chi l’onore“ fehlt es der Stimme aber an dramatischer Qualität. Emily d’Angelos herb-timbrierter Mezzo gewinnt durch die hohe Lage der Donna Elvira an Charme. „Mi tradì“ wird sie in ein paar Jahren noch besser singen. Schauspielerisch ist sie immer exzellent unterwegs und zeigte die obsessiven Züge dieser Partie zwischen brennender Enttäuschung und ungebremstem Interesse an Don Giovanni. Auch Zerlina war mit einem Mezzo besetzt, doch ist das nicht Alma Neuhaus‘ beste Partie; dazu fehlt es ihr an Leichtigkeit und in der Koloratur mitunter auch an Intonationssicherheit. Erfreulich aber ihr Zusammenspiel mit Jusung Gabriel Park, der einen tadellosen, wenn auch ein wenig blassen Masetto gab.