Zum Glück kann man als Zuschauer wenigstens die Figur der Elisabetta eindeutig identifizieren. In ihrem steifen Reifrock und mit ihren charakteristischen roten Haaren sieht die englische Königin auf der Bühne genauso aus wie auf dem Porträt von Hans Holbein dem Jüngeren. Tatsächlich sitzt die Königin in der ersten Szene, dem Publikum abgewandt, auf einem Stuhl und lässt sich von einem Maler porträtieren. Die übrigen Figuren von Gaetano Donizettis Oper tragen heutige Kleidung in einem eleganten englischen Stil. Damit legt sich die Regisseurin Mariame Clément nicht fest, ob sie den Plot nun in der englischen Renaissance oder im Hier und Jetzt ansiedeln will.

Elsa Dreisig (Elisabetta) © Grand Théâtre de Genève | Magali Dougados
Elsa Dreisig (Elisabetta)
© Grand Théâtre de Genève | Magali Dougados

Dass Elisabetta in Roberto Devereux die Hauptfigur ist und nicht etwa der titelgebende Tenor, liegt schon an der kompositorischen Anlage. Zusätzlich bildet Elisabetta in Cléments Tudor-Trilogie den Angelpunkt des Geschehens. In Anna Bolena kommt Elisabetta zwar als Gesangsrolle nicht vor, geistert aber, als Tochter von Anna und Heinrich VIII. als stumme Mädchenrolle auf der Bühne herum. In Maria Stuarda steht Elisabetta als Gegenspielerin der schottischen Königin auf dem Gipfel ihrer Macht. Und in Roberto Devereux stellt sie die alt gewordene englische Königin dar, die erleben muss, dass ihr einstiger Geliebter Roberto sich der jüngeren Hofdame Sara zugewandt hat.

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Stéphanie d'Oustrac (Sara) und Edgardo Rocha (Robert Devereux)
© Grand Théâtre de Genève | Magali Dougados

Am Grand Théâtre de Genève sind die drei Opern von Donizettis Tudor-Trilogie – die der Komponist allerdings nicht als solche betrachtet hat – in drei aufeinanderfolgenden Spielzeiten neu produziert worden und finden nun mit der Premiere von Roberto Devereux ihren Abschluss. In der zweiten Hälfte Juni lädt das Haus dann zu zwei Zyklen ein, in denen die drei Opern en bloc gespielt werden. Das Bestechende der Genfer Donizetti-Trilogie besteht darin, dass in allen drei Stücken nicht nur dieselbe Regisseurin, sondern mit Stefano Montanari auch derselbe Dirigent am Werk ist. Überdies sind mit der Sopranistin Elsa Dreisig, der Mezzosopranistin Stéphanie d’Oustrac und dem Tenor Edgardo Rocha auch die jeweiligen Hauptrollen mit denselben Personen besetzt. Dies garantiert in hohem Masse für die Einheitlichkeit des Zyklus.

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Edgardo Rocha (Robert Devereux)
© Grand Théâtre de Genève | Magali Dougados

Bei den Kostümen und den Dekors der Ausstatterin Julia Hansen begegnet man einigen Dingen wieder, die man schon von den beiden früheren Opern kennt. Die Bühne stellt wiederum einen neutralen getäferten Innenraum dar, der gegen hinten und die Seiten offen ist. Von dorther dringt die Natur in das Geschehen ein. Diesmal ist es eine Herbst- beziehungsweise Winterlandschaft, die auf Elisabettas Lebensende hinweisen. Einige spärliche Requisiten wie ein Schreibtisch, ein Kasten oder ein Bett erinnern an das 16. Jahrhundert. Im Übrigen wird auf jegliche Darstellung eines königlichen Prunks verzichtet. Die herausragende Rolle Elisabetta unterstreicht die Regie, indem neben der realen Darstellerin immer wieder Doubles von ihr auf die Bühne treten: Elisabetta als Mädchen, als junge Frau. Der Einfall des Holbein-Porträts wird mit Videos an den Seitenwänden weitergesponnen, auf denen die Gesichtszüge der Königin je nach Handlungsverlauf variieren.

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Stéphanie d'Oustrac (Sara) und Nicola Alaimo (Duca di Nottingham)
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Die 33-jährige Elsa Dreisig steht in ihrem Rollendebüt vor der schwierigen Aufgabe, eine bald 70 Jahre alte Herrscherin darzustellen. Dank Perücke und maskenhaft gepudertem Gesicht gelingt dies einigermassen. Andererseits ist sie dadurch in ihrer Mimik und somit der Darstellung ihrer emotionalen Befindlichkeit stark eingeschränkt. Zudem trägt ihr heller, jugendlich strahlender Sopran dazu bei, dass man Elisabetta das hohe Alter nicht so recht abnimmt. In Anna Bolena, wo Dreisig die in blühendem Alter hingerichtete Anne Boleyn spielte, wirkte sie jedenfalls viel authentischer. 

Elisabettas Gegenspieler Roberto Devereux, Earl of Essex, ist eine historisch verbürgte Person, die wegen Hochverrats hingerichtet wurde. In Donizettis Oper glaubt Elisabetta nicht an den Verrat, und sie würde Devereux vor dem Tod bewahren, wenn er nur gestände, dass er sie immer noch liebt. Edgardo Rocha erscheint denn auch nicht als politisch motivierter Revoluzzer, sondern als Privatmann, der sich in eine ausweglose amouröse Situation hineinmanövriert hat. Stimmlich passt sein leichter, in den Höhen unangestrengter Tenor bestens zu Elisabetta, als Charakterdarsteller erscheint er etwas monochrom.

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Elsa Dreisig (Elisabetta) und Stéphanie d'Oustrac (Sara)
© Grand Théâtre de Genève | Magali Dougados

Mit ihrer dunkel timbrierten Stimme und ihrer lebensnahen Rollenkunst punktet die Mezzosopranistin Stéphanie d’Oustrac auch diesmal. Nach der Hofdame Giovanna in Anna Bolena und der Titelfigur in Maria Stuarda gelingt ihr hier nun eine packende Verkörperung der Sara, der Herzogin von Nottingham. Sie ist es, die vor Elisabetta laviert und die Devereux im Haus ihres eigenen Gatten Nottingham verführt. Dafür muss sie dann die brutale häusliche Gewalt Nottinghams über sich ergehen lassen. Nicola Alaimo zeigt sich dabei als nicht nur stimmgewaltiger Bariton.

Ein sicherer Wert ist der Dirigent Stefano Montanari. Wie schon in den beiden vorhergehenden Stücken der Trilogie pflegt er auch in Roberto Devereux einen Donizetti-Stil, der nicht schon Verdi und Puccini vorausnimmt, sondern sich am frühen 19. Jahrhundert eines Rossini orientiert. Dies versteht sich auch von Montanaris Biographie her, der seine Karriere als Soloviolinist in der Accademia Bizantina unter Ottavio Dantone begonnen hat.

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Elsa Dreisig (Elisabetta)
© Grand Théâtre de Genève | Magali Dougados

Das Orchestre de la Suisse Romande musiziert unter Montanaris Führung in einem durchsichtigen Klanggewand und begleitet die Protagonisten auf der Bühne einfühlsam. Ausgezeichnet versteht es der Dirigent, die Spannungskurven in den etwas stereotypen Aufeinanderfolgen von Scena und Cavatina bzw. Duetto oder Terzetto zu wirkungsvollen Höhepunkten zu führen. Die Melomanen im Publikum kommen voll auf ihre Rechnung.


Die Pressereise (Zugfahrt und Hotel) von Thomas Schacher wurde vom Grand Théâtre de Genève bezahlt.

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