Mit „Vedrai con tuo periglio“ eine Arie aus Händels 1729 und durch die Verhandlungen mit Kastrat Senesino erst 1731 realisierte, als zweite auf ein Metastasio-Libretto komponierte Oper Poro, re dell’Indie bereits in Countertenor und Regisseur Max Emanuel Cenčićs Rezitalprogramm inkludiert, war nun Zeit für das im Vergleich zu anderen Bühnenstücken erheblich seltener aufgeführte Gesamtwerk. Natürlich als Produktion durch eigene Wiener Parnassus-Arts-Gesellschaft in Fortführung der Barock- und speziell auch Händelopern, erneut mit dazugehörigem, polnischem {oh!} Orkiestra unter Martyna Pastuszka, die nach Umsetzungspremiere bei den Händelfestspielen Halle in steter Verbundenheit auch wieder Halt beim diesjährigen Klangvokal Musikfestival in Dortmund machte.

Max Emanuel Cenčić und Martyna Pastuszka © Oliver Hitzegrad
Max Emanuel Cenčić und Martyna Pastuszka
© Oliver Hitzegrad

Dort brauchte es bis zur ersten Arie Erissenas in persona Lucile Richardot anfangs des ersten Akts, bis sich das wirklich dramatische, auch und vor allen Dingen in rezitativisch-rhetorischer Einstellung eigentlich in Cenčićs Produktionen gewohnte Flair entwickelnd entfaltete. Jenes, das die Affekte der typischen Opera-seria-Psychogramme um Eifersucht und Treue, bei Poro diesmal in Form dreipaariger Konstellationen samt Verkleidungsmuss und publikumserwartetem lieto fine durch die verherrlichte, freilich ansonsten menschlichen Verluste ausblendende Güte Alexander des Großen in Gesang und Instrumentalem ausbreitet. Ja, wieder Alexander, dessen Legende Händel 1726 bereits eine sehr erfolgreiche, damals gegenteilig im Hochmut angelegte, ebenfalls von Cenčić aufgeführte Oper gewidmet hatte, in besiegtem Poro aber das Bindeglied und den Rahmen bildet für gleichnamigen König einer indischen Staatlichkeit, seiner Geliebten Cleofide, Schwester beziehungsweise Schwägerin Erissena sowie ihr und ihm ergebenem Gandarte und Truppen-Meuterer Timagene.

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Lucile Richardot
© Oliver Hitzegrad

Während Cenčić, glaubhaft in Poros reflektierendem, überstürzt zum Tod bereitem, intensivem Selbstmitleid, insgesamt warm, die Koloraturfiguren weiter meisternd, die ausdrucksstärkere, selbstverständlich in der Höhe geäußerte Dynamik nur zum Ariensatzende anbringend, also selbst erst mit dem Cleofide-Streit-Duett „Se mai turbo“ zum Abschluss des ersten Akts eine spielwitzig-unterhaltendere Seite in allem kränkenden Ernst der Handlung zeigte, schlug das Temperament angesprochener Richardot direkt und dauerhaft ein. Mit darstellerischem Schwung und Spott wie vokaler Mezzo-Präsenz dank lagenweiter Farben und deutlichster Artikulation verkörperte sie eine Erissena, die zunächst mit willens- und sympathieentscheidender Freiheit gegenüber angetrautem Gandarte und Feldherr Alessandro agierte, bei Komplikation und angeknackstem Selbstbewusstsein berührend verwirrt, dann jedoch in besinnender Eigen- und Bruderloyalität, zudem weiter recht ulkig genervt von männischem Schwur aufgefangen war. Entzückend, wie sachte, dennoch dynamisch und empathisch effektvoll, weich und sanft Richardot Erissenas „Pastorale“ ausführte, ähnlich wie – sie sollen ja zueinander passen – Rémy Brès-Feuillet als stoffelig-strikter, allerdings opferstarker Gandarte seine Arien in Anmut und Flexibilität gestaltete.

Auch Julia Lezhneva trat nach Richardot in explizit theatralische Erscheinung, vornehmlich auf vokaler Seite, als sie – mit leichten Einbußen bei der Verständlichkeit – in unterstützend lautmalerischerer Rhetorik und üblich kadenzausladendem Koloraturfeuerwerk mit wunderbar leicht erscheinenden Höhenfunken Cleofides Widerstandsfähigkeit, persönliches und thronliches Zukunftsausloten, Trauer und Verzeihen widerspiegelte. Dies war begleitet von Lezhnevas charakteristisch tieferem Eingleiten, das sie stilistisch nun weitestgehend im Griff hatte. Wie sämtliche Arien vom Publikum begeistert gefeiert, durfte ihr Sopran der finalen Freude mit besonderer Bravuraakrobatik in extra eingefügtem „Scoglio d’immota fronte“ aus Händels Scipione Ausdruck verleihen. Der schwärmerischen, auf die Probe gestellten Ausgeglichenheit des verdeutlichten Rollengemüts geschuldet, konnte Hugo Hymas‘ in mittelhoher Lage markanter, gefälliger, manchmal allerdings dann konsequent noch etwas lichter und eleganter erhoffter Alessandro-Tenor natürlich nicht ganz so glänzen. Timothy Edlins Bass erfüllte den Verräter Timagene mit Statur, die im Ensemble aber nicht extravagant übertrieben wirkte, sondern äußerst angenehm und geschickt das mehr oder minder versteckte Intrigieren fließen ließ.

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Julia Lezhneva
© Oliver Hitzegrad

Mit üblichem, ruffestigendem Esprit und eben auch ab Erissenas Einsatz mit ungeheuer kompakter, phrasierungsaffiner Vitalität, temporeicher Hingabe und feinsinniger, in der Balance abgeklärter, koordinierend eingespielter Untermalung präsentierte sich das {oh!} Orkiestra, aus dem neben akkurater Solotrompete und bulligeren Hörnern Pedro Castro mit profunder Oboe und Sopranino-Blockflöte herausstechen durfte. So wie gleichsam Pastuszka mit hinreißenden Violinsoli zu den tränentropfenden Arien. Sie legte ihre Geige zum Schlusschor „Dopo tanto penare“ jedoch zur Seite, dirigierte und stieg in den Gesang mit ein, nachdem sukzessiver Orchestereinsatz mit perkussiven Hilfsmitteln beziehungsweise so verwendetem Bratschenboden den Satz zu einem ansteckenden, atmosphärisch auf die exotischeren Poro-Gefilde eingehenden Freudentanz verwandelt hatte. Einer, der Lust machte auf die nächste Produktion.

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