„Komm! Hebe dich zu höhern Sphären” singt die Mater Gloriosa, in dieser Aufführung mit der ätherisch klaren, reinen Stimme von Jasmin Delfs aus der Königsloge des Nationaltheaters. Damit lädt die Himmelskönigin die Sünderin Gretchen zu sich in die „ewigen Reiche”. Und Faust werde ihr folgen, der noch größere Sünder, dessen Seele soeben aus den Fängen des „alten Satansmeisters” Mephisto befreit, sich anschickt, seiner früheren Geliebten zu folgen, durch wilde Bergschluchten eskortiert von heiligen Einsiedlern, seligen Knaben und anderen wohlklingenden Chören und versehen mit den Fürbitten biblischer Büßerinnen – geläutert und erlöst. Hier ist der kathartische Höhepunkt dieser Symphonie erreicht und wenn er so intensiv und ausdrucksstark musiziert ist wie an diesem Abend mit dem Bayerischen Staatsorchester unter Kirill Petrenko, dann vermag er gewaltig anzurühren. „Das Unbeschreibliche – hier ist's getan”.

Gustav Mahlers Achte Symphonie ist wahrlich ein Überwältigungswerk: zwei große Blöcke emotionaler Musik, ganz heterogen und doch mit tiefem inneren Zusammenhang. Denn den frühchristlichen Pfingsthymnus „Veni creator spiritus” und die Schlussszene von Goethes Faust-Drama verbindet die Sehnsucht nach Erleuchtung und Erlösung durch das weltumspannende Prinzip der Liebe.
Der erste Teil: ein inbrünstiger Appell, Allegro impetuoso schreibt Mahler darüber. Drei Chöre braucht er, um den creator spiritius anzurufen und um dessen höchste Gnade zu erflehen. Gewaltig zog Petrenko hier die Chöre mit dem Riesenorchester samt der Orgel in den Sog einer aufbrausenden Klangmasse, die doch trotz ungeheurer Kraftentfaltung und Lautstärke stets strukturiert, durchhörbar und klangschön blieb. Dann die Solostimmen, bei denen die Leitgedanken wie Leuchtfeuer aufblitzten: erfülle uns! Stärke uns! Gnade! Liebe! – bis hin zum entscheidenden „accende lumen sensibus” (entzünde dein Licht in unseren Sinnen), unisono aus allen Kehlen wie herausgeschleudert als dem Zielpunkt allen Ringens.
Bis zum abschließenden Gloria hielt Petrenko diesen gewaltigen Impetus aufrecht, mit erstaunlicher Gelöstheit dirigiert, souverän geordnet und in wohltönender Klangfülle. So energiegeladen, dass sich bei einem Teil des Publikums diese rund zwanzigminütige Dauerspannung in spontanem Beifall lösen wollte.
Ein völliger Gegensatz dann der Beginn des zweiten Teils. Mit einem (vielleicht allzu) zarten Beckenschlag begann die lyrische Ruhe des Orchestervorspiels. Wie Leitgedanken setzten die Soloinstrumente deutlich die wichtigsten Motive aus dem ersten Satz ins fein gesponnene orchestrale Gewebe und verknüpften so die beiden Teile. Es gelang eine musikalische Erzählung, die große Phantasieräume eröffnete.
Mit der Schilderung der Natur setzten die Chöre ein, scharf aber präzise artikuliert die Echowirkungen der spritzenden Wogen und weich in der Beschreibung der besänftigten Löwen. Die Erzählung von Fausts Erlösung nahm ihren Lauf von Stufe zu Stufe seiner Seelenwanderung bis hin zur Apotheose – unmittelbarer kann Musik kaum wirken. Mahlers grandiose Komposition wurde kongenial verwirklicht.
Dann kamen die Momente der Solisten. Der Bariton Christoph Pohl als Pater Ecstaticus: leidenschaftlich und sinnlich besang er den „ewigen Wonnebrand” der Liebe. Georg Zeppenfeld war Pater Profundus, machtvoll und aufgewühlt die Naturgewalten als göttliche Symbole preisend. Und schließlich Benjamin Bruns, der als Doctor Marianus mit herrlichem Tenor in großer Emphase die Himmelskönigin anrief, um gleich vor Entzücken ins wundersame Piano zu fallen: „dein Geheimnis schauen” – so feinfühlig schön gestaltete er diese Stelle. Pure Erhabenheit klang aus der Musik, feierlich und innig wie ein Gebet zusammen mit dem Chor: „Jungfrau, Mutter, Königin, Göttern ebenbürtig”.
Auch die Frauenstimmen waren ausdrucksvoll und jede charakteristisch für ihre Rolle: Rachel Willis-Sørensens strahlender Sopran als Magna Peccatrix, Johanni van Oostrum mit ausgeprägt jugendlichem Timbre (Una poenitentium) und die beiden biblischen Büsserinnen mit sonoren Altstimmen (Jennifer Johnston und Okka von der Damerau). Die Chöre der Engel und der seligen Knaben (Tölzer Knabenchor) kündeten mit hellem Ton fröhlich Fausts Erhebung an, bis im feinsten Pianissimo, „wie ein Hauch”, der mystische Chor das Geheimnis preisgab und sich zur wohl gewaltigsten Schlussapotheose aller Mahler-Symphonien steigerte: „Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan”.