Wenn Marek Janowski, mittlerweile 85 Jahre alt, und Augustin Hadelich, gerade einmal vierzig, gemeinsam musizieren, treffen einander zwei Interpreten, die wenig von den Äußerlichkeiten des Musikbetriebs halten, sondern stattdessen alles darin setzen, nach den letzten Feinheiten zu suchen, die sie vor allem in oft gespielten Meisterwerke finden und herausarbeiten.

Augustin Hadelich und Marek Janowski mit den Berliner Philharmonikern © Monika Rittershaus
Augustin Hadelich und Marek Janowski mit den Berliner Philharmonikern
© Monika Rittershaus

Dass Augustin Hadelich Felix Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert liebt und es seit seiner Kindheit spielt, merkte man in jedem Takt seiner Aufführung mit den Berliner Philharmonikern. Er wusste seinen Part sicher zwischen ausdrucksstarkem Cantabile und schwindelerregender Virtuosität auszubalancieren; er vermochte es, auf seinem Instrument zu singen und den Part dennoch motivisch auszugestalten, um etwa mit Leichtigkeit und dennoch rhythmisch pointiert, das Hauptthema vorzutragen.

Hadelich hat sich einen Geigenton angeeignet, der euphonisch sowohl in den tiefen als in den hohen Lagen bleibt, daher nie dunkel grummelt oder dünn und spitz klingt. Das passte perfekt zu Mendelssohn Bartholdys elegantem Konzert und fand in dem unter Janowskis Leitung differenziert agierenden Orchester einen glänzenden Dialogpartner. Tutti und Solo hatten in diesem Konzert, wie vom Komponisten gewünscht, ihre formbildende Funktion weitgehend eingebüßt. Vor allem aber bewunderte ich, dass es Hadelich vermochte, sich den Melodien selbstvergessen anzuvertrauen, statt nach irgendeiner Gebrochenheit im Werk zu fahnden, irgendetwas gekonnt „anders“ zu spielen als andere oder den Part gar in die Ferne einer auf immer verlorenen Idylle zu entrücken. Sein Spiel war getragen von jener „reinen Empfindung“, die das Ideal damaliger Musikanschauung zumindest in Deutschland gewesen war.

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Augustin Hadelich
© Monika Rittershaus

Wirklich virtuos war aber die Zugabe, in der Hadelich die von ihm arrangierte Melodie eines der beliebtesten Songs der Country Music vortrug: Orange Blossom Special, das Ervin T. Rouse (1917–1981) auf den gleichnamigen Luxus-Passagierzug geschrieben hat. Vorschlagsnoten spielte er wie Glissandi und ahmte so eine Gitarren-Band nach.

Nach der Pause fand der Bruckner-Zyklus der Berliner Philharmoniker einen weiteren Höhepunkt. Marek Janowski ließ eine Siebente erklingen, die klug den vollen Streicherklang mit den strahlenden, nie grellen Blechbläsern vermittelte. Wohl dank seiner stillen Autorität gelangen sämtliche der vor allem im Piano heiklen Bläsereinsätze sauber und wohltönend, was gerade dieser Symphonie gut tut, da sie nichts mehr von der Ruppigkeit ihrer Vorgänger aufweist, die kleine Unpräzisiertheiten durchaus vertragen können.

Mit größter Sorgfalt und gestalterischer Überlegtheit fügte Janowski die asymmetrischen Melodiephrasen des ausschweifenden Hauptthemas zu einem Ganzen zusammen, das gerne unter weniger beschlagenen Dirigenten zerfasert. Von großer Erfahrung zeugte es aber vor allem, dass Janowski beim unvermittelten Ausbruch des gesanglichen Themas im Orchestertutti des Satzzentrums nicht vom Tempo abrückte, wie es andere Dirigenten gerne tun, um den Höhepunkt effektvoll ins alla breve zu versetzen. Derartige Theatralik braucht der mit Bruckner vertraute Dirigent (hier noch) nicht. Er ließ die Passage im strahlenden, aber nicht grellen Blechbläserglanz erklingen. Wohltuend verzichtete er auch im Adagio auf überreizte Dramatik, sondern nahm sich im langsamen Duktus alle Zeit, um die beiden Themen Schritt für Schritt von der Dunkelheit auf den C-Dur-Höhepunkt zu führen.

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Marek Janowski
© Monika Rittershaus

Das Scherzo trieb er zügig von dem rotierenden Motiv des Anfangs zu einer rhythmischen Unerbittlichkeit an. Wenn der Finalsatz nicht von jenem natürlich fließenden Duktus der anderen Sätze getragen war, so folgte dies dem Willen des Komponisten. Hier war dann auch eine am musikalischen Drama geschulte Theatralik geboten, der sich Janowski stellte, weil er keinen eigenen Stil hat, den er Bruckner aufdrückt, sondern die Partitur mit Leben erfüllte: Im Finale sind drei unterschiedlich klingende, aber einander nah verwandte Themen zusammenzuführen. Das geschieht bei Bruckner nicht bruchlos – und so bewältigte diese Aufführung jene Herausforderung mit Bravour, diesen erst in den letzten Takten errungenen Sieg überzeugend nachzukämpfen.

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