Auf den „Brettern, die die Welt bedeuten”, auf der Bühne des Opernhauses Zürich, gab es für einmal nicht die grossen Stars der Gesangskunst, sondern einen Pianisten zu bewundern. Am selben Ort, an dem eine Woche zuvor die Premiere der Götterdämmerung über die Bühne gegangen war, trat nun der Pianist Francesco Piemontesi, zusammen mit der Philharmonia Zürich unter der Leitung von Paavo Järvi, auf. Das Orchester der Oper Zürich spielt nämlich nicht nur im Graben die berühmtesten Werke des Opernrepertoires, sondern tritt daneben in einer eigenen Konzertreihe ins Scheinwerferlicht der Bühne.

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Francesco Piemontesi
© Toni Suter

Im Kalenderjahr 2023 schlossen sich das Opernhaus Zürich und die Tonhalle Zürich zu einem Gemeinschaftsprojekt zusammen. Aus Anlass des 150. Geburtstages von Sergei Rachmaninow wurden in vier Konzerten die symphonischen und die konzertanten Werke des Jubilars aufgeführt, wobei es in den beiden letzten Konzerten zum Chefdirigententausch kam. Nachdem Opernhaus-GMD Gianandrea Noseda einige Tage zuvor beim Tonhalle-Orchester zu Gast war, bekam nun Tonhalle-Chefdirigent Paavo Järvi die Ehre, im Opernhaus die Philharmonia zu dirigieren.

Zur Eröffnung dieses Konzerts erklang Rachmaninows Rhapsodie über ein Thema von Paganini, 1934 in seiner Sommerresidenz am Vierwaldstättersee komponiert. Es handelt sich dabei um Variationen für Klavier und Orchester, deren Thema aus dem letzten Stück von Niccolò Paganinis Caprice, Op.1 für Violine solo stammt. Allerdings versteht Rachmaninow den Begriff der Variation sehr frei und mutet dem Pianisten unterschiedliche Rollen zu. Ein klarer Fall für Francesco Piemontesi. Der aus dem Tessin stammende Schweizer, der heute in Berlin lebt, hat sich inzwischen zu einem international vielbeachteten Pianisten emporgearbeitet. Man hört es bei der Rhapsodie sogleich: Klug übernimmt er bald selbstbewusst die melodische Führung, bald steuert er verschlungene Begleitfiguren zum thematischen Geschehen des Orchesters bei, bald phantasiert er wie improvisierend drauflos. Dem grundsätzlich klassizistisch ausgerichteten Werk wird er mit einem glasklaren, fast perkussiven und gelegentlich humorvollen Spiel von ganz unaufdringlicher Virtuosität vollauf gerecht. Zudem hat auch das Düstere – in den Variationen mit dem Dies irae-Thema – und das Zärtliche – beginnend mit der 11. Variation – seinen Platz. Gemäss Rachmaninow birgt die Rhapsodie nämlich ein Programm, bei dem es um einen Pakt Paganinis mit dem Teufel geht, der dem Geiger Virtuosität und eine schöne Frau verspricht.

Nach begeistertem Applaus des Publikums zeigt Piemontesi mit zwei Zugaben weitere Facetten seines Künstlercharakters: Geradezu jenseitig-verklärt interpretiert er das Impromptu in Ges-Dur von Schubert. Und die Komposition Chasse-Neige, die letzte Nummer aus den Études d’exécution transcendante von Liszt, entwickelt er aus dem unscheinbaren Beginn heraus zu einem umwerfenden Bravourstück – ganz ohne Starallüren.

Paavo Järvi dirigiert die Philharmonia Zürich © Toni Suter
Paavo Järvi dirigiert die Philharmonia Zürich
© Toni Suter

Mit Rachmaninows Zweiter Symphonie, 1906/07 in Dresden komponiert und 1908 in St. Petersburg uraufgeführt, präsentieren Järvi und die Philharmonia ein Werk des Komponisten, das noch ganz dem romantischen Geist verpflichtet ist. Im Unterschied zur Rhapsodie, in der die Tradition als eine zitierte erscheint, tritt sie in der Symphonie ganz ungebrochen zutage. Dem Dirigenten Paavo Järvi, der auch ein begeisterter Tschaikowsky-Interpret ist, kommt dies sehr gelegen: Das Straffe und Aufgewühlte der Symphonie hat da ebenso seinen Platz wie das Süsslich-Sentimentale. Alle Sätze erscheinen als organische symphonische Gebilde. Besonders deutlich ist dies im langsamen Satz hörbar: Aus einer unendlich langen Melodie der Soloklarinette heraus (zauberhaft gespielt von Rita Karin Meier) entwickelt sich ein betörendes Gebilde aus Melodien und Klangfarben.

Was Järvi weniger im Griff hat, ist der Umgang mit der Lautstärke. Der Zuhörerraum des Opernhauses ist merklich kleiner als jener der Tonhalle. Trotz einer zwecks akustischer Dämpfung auf der Bühne angebrachter Schale müsste deshalb die Phonstärke etwas gedrosselt werden. Doch der Tonhalle-Dirigent hat nichts solches im Sinn. Und die Musikerinnen und Musiker der Philharmonia freuen sich offenkundig, dass sie, einmal sichtbar im Rampenlicht der Bühne sitzend, ab und zu richtig loslegen können. Eine zweite Kritik betrifft die Abstufung der Lautstärke im symphonischen Gesamtgefüge: Während Järvi den langsamen dritten Satz dynamisch zurücknimmt, lässt er eine Abstufung zwischen erstem und zweitem Satz vermissen. Nach dem aufgewühlten Kopfsatz sollte der zweite, ein formal sehr originelles Scherzo, betreffend Dezibelstärke heruntergefahren werden.

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