Diese Gelegenheit bietet sich nicht jeden Tag: ein Preis, bei dem der oder die Ausgezeichnete nicht nur eine Summe in der Höhe von 75,000 Franken erhält, sondern auch noch die Gelegenheit eines solistischen Auftritts mit den Wiener Philharmonikern am Luzerner Sommerfestival. Die Auszeichnung hieß bis letztes Jahr „Credit Suisse Young Artist Award“. Da nach der Pleite der CS die UBS als Hauptsponsor des Lucerne Festival eingestiegen ist, heißt der Preis neuerdings „UBS Young Artist Award“. Die Preisträgerin des Jahres 2024 ist die Cellistin Julia Hagen. Damit reiht sie sich in die illustre Galerie mit Namen wie Patricia Kopatchinskaja, Sol Gabetta, Martin Helmchen, Vilde Frang oder Kian Soltani ein, denen der Award als Türöffner für eine internationale Karriere gedient hat.

Bereits heute ist Julia Hagen alles andere als eine Unbekannte. Die 29-jährige Salzburgerin, Tochter einer bekannten Musikerfamilie, bewegt sich schon seit einigen Jahren auf glänzendem Parkett. In der kommenden Saison stehen Engagements bei diversen europäischen Orchestern sowie ihr USA-Debüt beim Cleveland Orchestra an. Als Kammermusikerin musizierte sie unter anderem in der Berliner Philharmonie mit dem Pianisten Igor Levit und dem Geiger Renaud Capuçon.
Im Kultur- und Kongresszentrum Luzern interpretierte Julia Hagen das Cellokonzert in a-Moll, Op. 129 von Robert Schumann. Wer sie noch nie gehört und gesehen hat, lernte die Musikerin als gewinnende Erscheinung mit einer natürlichen Ausstrahlung und einem ganz selbstverständlichen Umgang mit ihrem Cello kennen, das sie wie einen Teil ihres eigenen Körpers behandelt. Als Visitenkarte eignete sich das Schumann-Konzert ausgezeichnet, bot es doch mit seinen drei unterschiedlichen Sätzen die Gelegenheit, die verschiedenen Facetten ihres Könnens in hellstem Licht auszustellen.
Im ersten Satz, weitgehend ein Monolog des Soloinstruments, war anfänglich noch eine gewisse Nervosität zu bemerken. Doch schnell befreite sie sich davon und interpretierte den Solopart im Spannungsfeld von Kantabilität und Energiegeladenheit. Kühn durchmaß sie dessen extreme Höhen und Tiefen und setzte als Gestaltungsmittel auch gerne die feine rhythmische Differenzierung ein. Im langsamen Satz zeigte Hagen eine Wärme und schon fast Abgeklärtheit des Ausdrucks, die für ihr jugendliches Alter alles andere als selbstverständlich ist.
Energisch ging sie den dritten Satz an und begeisterte in den dialogischen Partien durch ihr abgestimmtes Zusammenspiel mit dem Orchester. Christian Thielemann seinerseits hielt die Zügel der Wiener Philharmoniker straff und sorgte dafür, dass die Solistin nie überfahren wurde. Für den großen Applaus bedankte sich Julia Hagen mit einem Satz aus einer Sonate für zwei Celli von Jean-Baptiste Barrière, den sie sympathischerweise zusammen mit dem Solocellisten des Orchesters spielte.
Als Hauptstück des Orchesters folgte die Symphonie Nr. 1 in c-Moll von Anton Bruckner. Dass Thielemann, der in der bevorstehenden Saison die Stelle als GMD der Staatsoper Berlin antritt, sich bereiterklärt hat, die wenig prestigeträchtige Erste Symphonie nach Luzern mitzubringen, ist ihm hoch anzurechnen. Immerhin hat er mit den Wienern, denen er als beliebter Gastdirigent seit Jahren verbunden ist, als Beitrag zum Jubiläumsjahr sämtliche Symphonien des Meisters als Live-Einspielungen aufgenommen. Thielemann hat also die Lorbeeren mit einer späten Symphonie nicht nötig, und zweitens verfolgt er, so die Vermutung des Kritikers, mit dieser Wahl eine Mission: Er will beweisen, dass dieses Erstlingswerk, das Bruckner als 42-Jähriger in Linz komponiert hat, bereits eine vollgültige Symphonie ist, die den Vergleich mit den später entstandenen Geschwistern nicht scheuen muss.
Aus diesem Grunde dirigierte Thielemann nicht die Linzer Originalfassung, sondern die von Bruckner selber überarbeitete Wiener Fassung von 1890/91. Diese unterscheidet sich von der Originalfassung vorwiegend in der Instrumentation, nur am Rande in der kompositorischen Substanz. Schon im Eröffnungssatz führte der Dirigent den ganzen Reichtum der Brucknerschen Klangsprache vor, die hier tatsächlich bereits in nuce angelegt ist. Das Adagio hat dann doch noch nicht die Statur der späten Symphonien. Dennoch machte Thielemann mit großen dramatischen Entwicklungen und mit unterschiedlichen Beleuchtungen des Klangbildes ein Maximum daraus.
Im Scherzo war die kleine Passage, die nach dem Trio zur Reprise des Hauptteils überleitet – auffallendstes Merkmal der Wiener Fassung – deutlich zu hören. Im Finale führte Thielemann das musikalische Geschehen immer wieder zu erhabenen Momenten, am Schluss gar zu einer Monumentalität, die man bei den späteren Symphonien eher vermuten könnte. In dieser Akzentuierung liegt auch der Unterschied zu Andris Nelsons, der mit seinem Gewandhausorchester ebenfalls alle Symphonien Bruckners eingespielt hat. Während Nelsons‘ Sechste in Luzern recht diesseitig daherkam, erschien Thielemanns Erste als Vorbote einer symphonischen Welt, die mit ihrem Pathos das Tor zum Göttlichen öffnet.