Bevor Georg Philipp Telemann 1721 nach Hamburg kam, hatte er bereits fast die Hälfte seiner 47 Opern und kurzaktigen komödiantischen „Operchen“ geschrieben. Eigentlich genau zeitgleich mit seinem höchstgeschätzten Kollegen kehrte Reinhard Keiser in die Elbmetropole zurück, führte jener zuvor Deutschlands bedeutendstes Opernhaus am Gänsemarkt zu überaus prächtiger Blüte. Zwar verließ Keiser Hamburg im Dezember schon wieder gen Kopenhagen, doch pendelte er immer in seine zur Heimat gewordenen Stadt, um am alten Arbeitsplatz zu wirken, ehe er 1723 erneut ein dort sesshafter Bürger und 1728 Domkantor werden sollte. Ein Anlass für einen Aufenthalt 1722 war Telemanns erste wirklich in Hamburg komponierte Oper, denn Keiser zeichnete diesmal für die Regie verantwortlich.
Das Werk: Sieg der Schönheit. Am 13. Juli des Jahres, in dem Telemann Chef am Gänsemarkt wurde, war Premiere; Mitte März 1987 fand dann die neuzeitliche im Rahmen der Magdeburger Telemann-Festtage statt. Sie stand nun mal wieder kooperativ beim Theater Magdeburg – doch durch die Einladung der Akademie für Alte Musik Berlin erstmals auf historischen Instrumenten – für die jetzige Edition in Telemanns Geburts- und heutiger Hauptstadt auch Keisers anhaltinischer Wiege auf dem Spielplan, um die beiden Gänsemarktler mottoehrungsgetreu zusammen zu bringen. Telemanns Stück ist eine opera semiseria, die ab 1725 zudem an berüchtigter Braunschweiger Welfen-Oper Erfolge feierte. In dieser Fassung liegt sie vor; freilich damals trotz Änderungen noch beachtlich lang, unterlag die Oper heute weiteren üblichen Kürzungen. Das Libretto (1693) stammt von Christian Heinrich Postel, welches Telemann für seine Bedürfnisse einer affektopulenten Zurschaustellung über die Formen der Liebe anpasste.
Ihm liegt die Eroberung Roms 455 zugrunde, als Gensericus, triebgesteuerter Vandalenkönig, auf die besiegte, aber persönlich befreite, nach zwei schwierigen Ehen verhaltene Kaiserin Eudoxia trifft. In beider Schlepptau befinden sich die Kinder, die ebenfalls jedes auf seiner Seite, der Vandalen (entsagender Honoricus) und der Römer (bindungstolle Pulcheria und Placidia), verschiedener nicht sein könnten. Hinzu kommen im Gensericusgefolge der Krieger Helmiges, bei Eudoxias Anhang Zofe Melite und der Patrizier Olybrius. Deren raisonale Schwierigkeiten mit staats- oder herzverordneter Liebe werden – selbst ohne dergleichen – vom Soldatenphilosophen Trasimundus in ernster Weise und durch Turpino humoristisch kommentiert.
Jenen Komiker nahm sich Regisseurin Kai Anne Schuhmacher dabei als Basis für ihr auf allen Ebenen großartig aufgehendes Konzept. Als teuflischer Deus ex machina oder genervter Liebes- und Regiegott inszeniert Turpino die Oper, die dadurch mit sich selbst spielt, so manches Seria-Serielle, Barocktypisches, die Verkleidung oder die Standard-Todesdramen, herrlich ulkig auf die Schippe nimmt und das eigentliche Theaterdurcheinander durch das figurative Im-Moment-Entstehen zugleich zugänglich für Barockopernfremdlinge werden lässt. Die Solisten werden aus dem Publikum auf Lisa Däßlers Bühne geholt, die aus dem darauf Neues entstehendem Ascheboden, einem Trägerskelett von Gebäude sowie ansonsten geprobter Kulissenlosigkeit mit transparentem Maskenbildnerplatz im Hintergrund besteht. Die Sänger schlüpfen in die von Valerie Hirschmann kreierten Kostüme, die einerseits in vielen pinken und rosanen Accessoires das Produktionsdesign aufnehmen, andererseits auch im grellen, etwas trashigen Barockpastell mit zum Teil modernen Überbleibseln den Charakter des Werks widerspiegeln.