Mit ihrer Tradition nehmen es die Bayreuther Festspiele ernst: während der zehnminütigen Ouvertüre zu Richard Wagners Tristan und Isolde bleibt der Vorhang geschlossen, keine Introduktion läuft da über den roten Samt, keine stumme Handlung als Einstimmung. Man kann zur Ruhe kommen bei der wunderbaren Oboenmelodie zu Beginn, sich aufwallen lassen vom weit geschwungenen Crescendo der Streicher, sich versenken in den melancholischen Abgesang des Englischhorns.

Camilla Nylund (Isolde) © Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath
Camilla Nylund (Isolde)
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Auch im zweiten Jahr dieser Produktion demonstrierte Semyon Bychkov am Pult des fulminant aufspielenden Festspielorchesters, dass „Langsam und schmachtend“ durchaus einen vorwärts drängenden Puls beinhalten kann, sich die chromatischen Melodien in sanglichen Spannungsbögen öffnen. Dass mit beginnender Handlung noch immer keine Übertitelung der Gesangstexte angeboten wird, bemängeln dagegen immer mehr Opernbesucher, da das Textverständnis oft, trotz der bekannt hervorragenden Akustik des Raumes, insbesondere im oberen Teil des Parketts deutlich eingeschränkt ist.

Im zugrunde liegenden Werk des Gottfried von Straßburg, um 1210 entstanden, das offenbar anfangs auch nur den Namen Tristan trug, interessiert den isländischen Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson, erstmals am Grünen Hügel tätig, offensichtlich weniger der Einfluss von Wagners Affäre zu Mathilde Wesendonck auf die Oper, dafür mehr die Psyche der getriebenen Titelfigur Tristan. Arnarsson sieht nicht nur eine unglückliche Liebesgeschichte in Wagners Handlung, er hält Tristan für einen Depressiven, der zwischen dem Trauma seiner Herkunft, in der sein Vater im Kampf gegen seinen Lehnsherren getötet wurde und die Mutter bei seiner Geburt starb, und dem späteren Glück, gebildet zum Ritter aufzuwachsen und heldisch Auseinandersetzungen zu bestehen, zerrieben wird. Tristan fühlt sich schuldig am Tod von Mutter und Vater.

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Andreas Schager (Tristan) und Camilla Nylund (Isolde)
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

In Wagners Version der Geschichte treffen Tristan und Isolde aufeinander, als er, noch unter dem Pseudonym „Tantris“, verwundet hilflos und wenig heldisch von Isoldes Heilkunst abhängig ist und Isolde wiederum nicht mehr nur passiv zur Heirat verplante Braut, sondern aktiv Entscheiderin in machtpolitischem Spiel ist, was Tristan akzeptiert. Beide verstehen einander, fühlen sich vom anderen wirklich erkannt, weshalb Isolde Tristan auch nicht tötet.

Aus dieser Situation heraus braucht es für Arnarsson auch keinen Liebestrank für die beiden Menschen, die sich offensichtlich bereits lieben. Seine latente Todessehnsucht führt Tristan zum Entschluss, das sühnende Gift zu trinken, Isolde zu beweisen, dass er alles zu geben bereit ist; auch ein Eingeständnis seiner Liebe. Im dritten Akt schreibt Tristan „Sterben“ auf seinen Oberarm. Dass Isolde am Ende ebenfalls den Todestrank nimmt, zum gemeinsamen Weg in den Tod, ist die Konsequenz des großen Liebesduetts im zweiten Aufzug.

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Alexander Grassauer (Melot) und Günther Groissböck (Marke)
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Vytautas Narbutas’ Bühnenbild gibt dem konzentrierten Blick auf die beiden Charaktere eher zu viel Raum. Im ersten Aufzug deuten nur einige, vom Plafond herunterhängende Taue das Deck des Schiffs an, mit dem Tristan die irische Prinzessin Isolde nach Cornwall bringt, um sie seinem Onkel, König Marke, als Braut zuzuführen. Imposant und durchaus ein Blickfang Isolde inmitten eines riesigen weißen Brautkleides (Kostüme: Sibylle Wallum), dessen gewaltige Schleppe, die mehrere zehn Quadratmeter auf dem Bühnenboden bedeckt, sie bereits metaphorisch mit einer Feder beschrieb und immer weiter mit Gedanken füllt: Worte wie „Verrat“, „Tantris“ oder „Raub“, die zumeist nur in den vorderen Reihen lesbar sind. Fast erscheint diese kreisförmige Kladde wie eine Insel der Erinnerungen, auf die Isolde sich durchgehend zurückziehen kann und auch nur einmal von Tristan suchend betreten wird.

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Tristan und Isolde
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Den äußeren Rahmen des zweiten Aufzugs bilden große Teile des Holzspanten-Gerüsts eines Boots, die offen in die Höhe ragen. Zwischen ihnen sind Massen antiquierter Requisiten einer Historie scheinbar planlos abgeladen, die aus einer glücklicheren Tagwelt Tristans stammen dürften, in die er fliehen könnte: ihr „Sink hernieder, Nacht der Liebe“ wird jedoch mehr zum gemeinsamen Weg in die Nacht des Todes. Die Wucht dieses Trümmertands lenkt vom eher intimen Spannungsgefüge der beiden Protagonisten stärker ab als sie erhellend wirkt. Im ausgebreiteten Sammelsurium von Bildern, Büsten und Büchern kommen sich beide nur selten wirklich nahe.

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Andreas Schager (Tristan)
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Bis in den dritten Aufzug begleitet das beschriebene Brautkleid, inzwischen im Reisekoffer zusammengeknüllt, durch die Handlung. Isolde, innerlich nah bei Tristan, nimmt den Todestrank, liegt dann einige Meter entfernt von Tristan. Warmes Goldlicht, wie schon zuvor in Momenten innerer Erregung, könnte eine heilende Kraft der Erlösung bedeuten. Opulent und okkult: die Rätsel des überaus feinteiligen Bühnenbilds blieben ungelöst, fanden auch in Arnarssons Personenregie wenig offensichtlichen Aufschluss.

Mit „Mild und leise“ setzte Camilla Nylund einen wohlig sanften, tief empfundenen Schlussakkord hinter die Handlung. Das weiche Timbre ihres Soprans berührte hier tief, ebenso wie die nuancenreich gestaltete bewegende Dramatik ihres Spiels. Andreas Schager zeigte den aufwühlenden Kampf der Titelfigur mit der Depression, geradezu autistisch um sich kreisend. Die metallisch strahlende Kraft seines Tenors teilte er klug ein, ging vokal bis zum Äußersten, etwa bei „O diese Sonne“ im dritten Aufzug.

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Camilla Nylund (Isolde)
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Sehr warmherzig hinterließ die Brangäne von Ekaterina Gubanova tiefen Eindruck; auch bei ihr wäre mehr Wortverständlichkeit ein Gewinn gewesen. Gewohnt nobel in Stimme und Spiel Günther Groissböck als König Marke; dem Kurwenal verlieh Jordan Shanahan Statur und Wohlklang. Semyon Bychkov gestaltete mit dem Festspielorchester überbordende Klangfülle, bruchlose Übergänge von Stimmungen, elektrisierende Reibungen unaufgelöster Harmoniewechsel, ausgiebiges Zuhören in kammermusikalischen Momenten.

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