Lange hatte Jan Vogler, der Intendant der Dresdner Musikfestspiele, darum gekämpft, das Festival von Anfang bis Ende coronakonform mit Publikum stattfinden zu lassen. Als klar war, dass dies zum vorgesehenen Zeitpunkt so leider immer noch nicht durchführbar ist, holten die Verantwortlichen einen weiteren Plan damit aus der Schublade, eine Streaming-Woche Ende Mai zu veranstalten, physische Live-In und Open-Air-Konzerte ab Anfang Juni umsetzen zu wollen und andere Punkte im November nachzuholen. Der Start der Videoreihe wurde dabei auf die anvisierte Aufführung des eigenen Festspielorchesters gelegt, das – wieder und wieder, gleich einer stolzen Tradition anderer Institutionen und deren fester musikalisch-rituellen Denkmalpflege – Robert Schumann und sein symphonisches Werk aufspielte. Nicht unter Chef Ivor Bolton, der sich um Beethoven kümmerte, sondern abermals mit einem neuen Gastdirigenten. Daniele Gatti kam so in den Genuss der Arbeit und Spezifika mit den historischen Instrumenten und der Zuhörer – wenn auch nicht konstant – in den einer anderen, sagen wir mal zumindest interessanten Darbietung.

Aufbruch könnte das Motto dieser Integrale innerhalb des Festivalthemas „Dialoge“ sein, markieren die Symphonien doch jeweilige Neuanfänge oder den vermeintlichen Glauben daran im werklichen, örtlichen oder seelischen Dasein des Notenerschaffers. Gattis Anfang zur Frühlingssymphonie merkte man mit einer etwas gemächlicheren Einleitung und dem vereinzelt noch im Hauch altmodischer Behäbigkeit steckenden Kopfsatz das Einfinden in die Klangwelt des Dresdner Festspielorchesters an, dessen Vorzüge ein ums andere Mal dabei zu ungenutzt blieben. Ein Aspekt davon war auch die Schlägelwahl Stefan Rapps Pauken. Besonders auffällig arbeitete der Dirigent vor allem mit launischen Tempoverschiebungen sowie Streicherakzenten und bemerkbareren Posaunenimpulsen, die durchaus frische Wellen des sprießenden Lebenshoffens dieser Jahreszeit ergaben. Glücklicherweise wandelte sich zur Mitte mit massivem Accelerando die zuvor vernommene leichte Bräsigkeit, um auch im Larghetto nun von den reizenden Farben und Phrasierungsmöglichkeiten des Holzes und der Streicher entschiedener Gebrauch zu machen, ehe die Breite mit dem Tutti-Motiv zu Beginn des Scherzos wieder Einzug hielt. Auch hier nahm dank Tempokorrektur die Lebenslust jedoch erneut Fahrt auf, so dass mit dem aufblitzenden Temperament des DFO im Finalsatz trotz der spürbaren, an Gattis Gesten ablesbaren, unverständlichen Grund-Einhegung lyrische Holzbläser im bewussten Gegensatz zum dramatischen Blech- und Streicherapparat das aufbäumende Mai-Gefühl verkörperten.

Wirklicher Aufbruch – selbst wenn eine eher unschlüssige Zuführung zum Allegro man non troppo erst zweifeln ließ – trat mit der Zweiten Symphonie zutage, als Schumanns innerer Kampf zum späteren Ausbruch in Artikulations- und Phrasierungs-Steigerung den Fähigkeiten des Orchesters theatralisch entsprang wie entsprach. Aufreibende Signale und Kontraste setzte zudem das erneut von starken Tempovariationen lebende Scherzo, bei dessen Schluss Rapp endlich zu den Vollholz-Schlägeln griff. Die Fagott-, Oboen-, Flöten- und Klarinettensoli bereicherten schließlich das loslassend-sondierende Adagio espressivo, dem sich ein kernig gesunder Lauf pulsierend-entschlossener Krisenüberwindung anschloss, für den der Paukist allerdings zu vorherigen Ummantelungsstöcken zurückkehrte und vor dessen Schlussakkord laut ins Mikrofon gesummt wurde.

Auch wenn Gatti jeden Einsatz genauestens koordinierte, wunderbar die Blech-Motive (technisch neubesetzt mit zwei Ventilhörnern und -trompeten) auftrumpfen ließ sowie mit vielen Akzenten und dynamischen Phrasierungen natürlich die Wogen von Schumanns Dritter zelebrierend herauszuholen bestrebt war, verhinderten jetzt im Rückschritt zu vorherig beherzterer Aufbruchsstimmung zusehends die Rubati und rhythmisch unausgegorenen, eher abgehackt verdeutlichten Überzeichnungen in generell langsamer romantisierend überkommener Harmlosigkeit einen lebendigen Wellengang. Am eindrücklichsten entfaltete die statisch-ehrfürchtige Prozessions- und Architekturbeschau des feierlichen Kölner-Dom-Bildes eine berührende Wirkung, zu der sich das eines dramatischer diffusen Psychogramms im ersten Satz der Vierten Symphonie gesellte. Außerdem erschien noch das Scherzo am plausibelsten umgesetzt, bevor das Nicht-Abrücken vom ausgewählten Anzug der vorgebenden, ansatzüberschneidenden, vermeintlichen Allwettertauglichkeit das letzte Finale bei aller verlässlich erquickenden Transparenz der Holzbläser und diesmal fulminant hervorgehobenen Blechfanfarenspieler des Dresdner Festspielorchesters eher in den merkwürdig beklemmenden Stoff einer Regenjacke zu diesem aktuell durchwachsenen Frühling kleidete.


Die Vorstellungen wurden von den Streams der Dresdner Musikfestspiele rezensiert. Klicken Sie hier für Schumann-Zyklus I.

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