Vor genau zwei Jahren ging beim Niederländischen Tanztheater ein Tanzabend mit dem Titel Woven State mit ausschließlich Werken von William Forsythe in Premiere. Dieselben Stücke wurden gestern unter der Überschrift A Forsythe Evening wiederholt. Nach einer kurzen Aufführungsserie während des Höhepunkts der COVID-19-Pandemie 2021 wollte man dieses Programm erneut aufführen, um es einem größeren Publikum vorzustellen, hieß es im Programmheft. Forsythe hatte den aktuellen Proben mit fünf neuen Tänzern im Vergleich zur ersten Vorstellungsreihe zwei Woche lang beigewohnt und in allen drei Stücken kleine oder größere Anpassungen vorgenommen.

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N.N.N.N.
© Rahi Rezvani | Nederlands Dans Theater

Der Probenprozess ist, so die Begründung der renommierten Tanzgesellschaft, eine Reise, die Tänzer, Choreograph und künstlerisches Team gemeinsam unternehmen. Das NDT geht dabei so offen und transparent wie möglich vor, „denn der Prozess ist für uns genauso wichtig wie das Ergebnis. Daher ist es für uns wichtig, Raum für Änderungen in den Werken oder im Programm zu schaffen, wenn diese von den Choreographen oder dem künstlerischen Team als wichtig erachtet werden.“

Der New Yorker William Forsythe (*1949) hat neben seinem umfangreichen choreographischen Œuvre sein Werk seit 1991 auch auf den Bereich der bildenden Kunst ausgeweitet. Während seine Choreographien zum Repertoire von Ensembles in aller Welt gehören, sind seine Installationen international in Museen und Privatsammlungen ausgestellt. Forsythe sieht seine Arbeit als etwas Lebendiges. Seine Hauptinspiration ist dabei, was jeweils im Austausch mit den Tänzern entsteht. Erst vor wenigen Tagen wurde das vor zwei Jahren in Premiere gegangene N.N.N.N.N.N.N.N.N.N.N.N. für zwölf Tänzer darum kurzfristig zurückgebracht auf seine ursprüngliche Version N.N.N.N. für nur vier Tänzer aus dem Jahre 2002.

N.N.N.N. ist ein getanztes Streichquartett mit der konstanten, fließenden Entdeckung des menschlichen Körpers als Leitthema. Die vier Tänzer Jon Bond, Conner Bormann Chuck Jones und Charlie Skuy spielten virtuos mit ihren Gliedmaßen als wären sie tote Materie. Das war nicht nur immer wieder humorvoll, sondern auch erkenntnisreich. Wir Menschen sind Gesellschaftstiere, die einander kopieren, inspirieren und herausfordern. Wieviel mehr wäre möglich, wenn wir intensiv zusammenarbeiten und unsere Bewegungsenergie aufeinander abstimmen und miteinander teilen!

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Of Any If And
© Rahi Rezvani | Nederlands Dans Theater

Von der ursprünglich murmelnden Musik von Thom Willems war bis auf circa vier ultrakurze kaum wahrnehmbare Geräuschblitze nichts mehr zu hören. Stattdessen begannen die Tänzer mit ihrem Atem, eine eigene komplexe Musik zu kreieren. Ihre Arme, Köpfe, Torsi und Beine wurden zu separaten Stimmen im Kontrapunkt zueinander. Auf eine komplizierte Atem-Partitur wanderten so teilweise winzige Bewegungen von einem zum Anderen und wieder zurück. Aus schwingenden Armen und biegsamen Körpern entstand so ein mehrstimmiger stiller Bewegungsgesang, der jegliches Zeitgefühl vergessen ließ.

Nicht alle vorgenommenen Änderungen taten den Stücken gut, wie etwa die Entscheidung, in Of Any If And keinen gesprochenen Text mehr zu verwenden. Forsythe war der Meinung, dass das Stück nun auch ohne diese Sprecher genug Eloquenz hätte. Trotzdem ließ er die Stühle für die suspendierten Sprecher stehen. Mir waren die Texte von Dana Caspersen und William Forsythe noch gut in Erinnerung und auch das hervorragende Tänzerpaar Nicole Ishimaru und Luca Tessarini schien etwas zu vermissen. Die ständig den Raum neu definierenden Texttafeln, die von oben herabgelassen immer neue Wortkombinationen sichtbar werden ließen und der kontrapunktisch eingesetzte Hell-Dunkel-Lichteffekt waren ohne den murmelnden Sprachfluss wesenlos dominant und ließen das vor zwei Jahren so emotionelle Pas de deux unverdient in den Hintergrund treten.

<i>One Flat Thing, reproduced</i> &copy; Rahi Rezvani | Nederlands Dans Theater
One Flat Thing, reproduced
© Rahi Rezvani | Nederlands Dans Theater

Trotz des ungestümen Ansturms von 14 Tänzern, die unablässig 20 gefährlich glatte scharfgekantete Metalltische überfluten, ist One Flat Thing, reproduced (2000) ein sehr zielgerichtetes Werk in Forsythes Untersuchung einer kontrapunktischen Struktur. Wie in seinem gesamten Werk geht es Forsythe auch hier um das Zusammenspiel verschiedener organisatorischer Systeme: die individuellen Choreographien, verschiedene Ausrufe als Startzeichen und eine komplexe Anordnung aufeinander bezogener und einander kopierender Bewegungen. Das rechteckig abgezirkelte Labyrinth der dicht beieinander stehenden Tische ordnete diese Aktionen dabei dreidimensional: auf, neben und unter den Tischen.

Forsythe lässt sich vom jeweiligen Prozess im Studio inspirieren. Die aktuellen Änderungen waren für ihn als Choreographen wichtig, den Stücken und ihrer Wirkung aufs Publikum haben sie im direkten Vergleich jedoch nicht gut getan.

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