Wie nicht anders zu erwarten, steht auch in dieser Spielzeit mit Bach und Händel die engere musikalische, heißgeliebte Heimat Ton Koopmans im Mittelpunkt der Konzerte des vor 45 Jahren gegründeten Amsterdam Baroque Orchestra, bei denen wiederum der Leiter selbst diesmal jede zentrale Aufmerksamkeit auf sich zieht. Schließlich feierte Koopman am 02. Oktober seinen 80. Geburtstag, dem eine Festsaison mit den Brandenburgischen Konzerten, Kantaten und zwei seltener aufgeführten Händel-Oratorien mit Tourneen und Einladungen in ganz Europa gewidmet ist. Kommt davon in der zweiten Jubiläumshälfte Deborah zu Gehör, liegt zunächst Esther auf den Pulten der Musiker.

Ein Oratorium, das Händels englischsprachiges Role Model dieses Genres ist, nachdem er seiner spätestens 1720 im privaten Kreise in Cannons uraufgeführten, szenisch dargestellten und als Masque Haman and Mordecai bezeichneten Vorlage für die konzertanten Aufführungen zu den eigenen Geburtstagsfeierlichkeiten 1732 mit mehreren Folgerevisionen eine gebührendere Auffrischung mit weiteren Wiederverwertungen anderer Stücke und die Vergrößerung des Orchesters gönnte. Einer kritischen Betrachtung unterzogen, entwickelte Koopman extra für die Tournee eine logischerweise an späterer Bearbeitung orientierte Fassung aus den verschiedenen Versionen. Um mit dem deutschen Humoristenkaiser Loriot zu sprechen: Ebenfalls „was Eigenes“, das Koopmans musikalisches Leben der büchergestützten Freiheit mit eigenem Ensemble ausdrückte wie die große Errettung des jüdischen Volks in Persien durch die mit dem Purimfest gefeierte Esther.
Bekannteste Überarbeitungen Händels bildeten Satzeinschübe der Coronation Anthems, die am Konzertabend im BOZAR zu durchaus Kuriosem führten. Als solche Klassiker von weniger mit Esther und anscheinend dem digitalen Programmheft vertrauten Zuschauern wahrgenommen, glaubte eine beträchtliche Anzahl, mit „God is our hope“ auf das berüchtigte „Zadok the Priest“ zum Finale des zweiten Teils sei Koopmans Variante nach gut 75 Minuten vorüber. Deren ausgelassener Applaus veranlassten Koopman und Solisten, mehrfach abzugehen und sich vergleichbar zum tatsächlichen Endakt dankbar mit dem Orchester die Hände zu schütteln. Eine Geburtstagsüberraschung der etwas anderen Art!
Zu Staunen und Begeisterung hatten auch die fulminanten drei Trompeten, allen voran erster Clarinsolist Amir Rabinovitz mit bestechender Intonation und Strahlkraft im Schlusschor, und besonders die großartigen, powerhaften Paukenwirbel Luuk Nagtegaals beigetragen, der als altgedienter ABO-Hase die Tour begleiten durfte. An der Sauberkeits- und Geschmacksgrenze waren dagegen – einzig – die plötzlich extrem betonten „forever“-Triller des Amsterdam Baroque Choir in besagter, durch erst äußerst langsames, dann sehr zügiges Tempo kontrastierende Anthem. Ansonsten lieferte der Chor – aus ihm mit Kieran White und Jasper Schweppe auch ergänzendes Tenor- und Basssolo – eine lichte, homogene, bewegliche Vokalität ab, die als Stimme der Juden erhabene Spannung und demütig bis allmählich unbeugsam resoluter erhoffte Gotteshilfe unter der gesetzlichen Genozidbürde des persischen Premierministers Haman sowie schließlich – mit Hörnern – beflügelten Erhörungsdank in sich trug.
Dabei war er bestens abgestimmt auf das ABO, das absolut souverän, warm, rhythmisch konturiert, leicht, geschmeidig und balanciert zu Werke ging. Auch die konzertierenden Obligati seiner Stammkräfte Antoine Torunczyk (Oboe) und Wouter Verschuren (Fagott), dazu als junger Gast Emma Huijsser an der Harfe, fügten sich in das versierte Klangbild, in dem Koopman selbstverständlich das Cembalo bediente. Dieser interpretatorischen Prämisse entsprach zudem dessen langjährige Altus-Solistenbank schlechthin, Maarten Engeltjes, der seine Partien als König Ahasverus sowie Esther-Cousin und -Adoptivvater Mordecai mit angenehm aufgeräumter, registerfarbiger, stolzer, hinreißender wie eindringlicher Eleganz bekleidete.
Etwas angeschlagen und zunächst davon zusammen mit freilich noch passender Beschwer der Auslöschung stimmlich gehemmt, doch das Beste daraus, mit zunehmender Rettungswendung zu unverkennbarer Koloraturneckigkeit weich auftauender machend lieh Julia Lezhneva Esther ihre Stimme. Gar positiven Einfluss hatte sie auf vibratolos pizzicatierte Höhen und generellen Stil. Störend blieben jedoch ihre einrutschenden Phrasierungsansätze und Abzüge bei Aussprache und Verständlichkeit. Koopmans Bassstütze Andreas Wolf, ließ sein stets mächtig aus sich strömendes, auch typisierendes Timbre Raum geben für vorzügliche Deklamation, Ausdrucks- und beachtliche Lagenstärke sowie Sonorität eines Raum- und Leben nehmen wollenden Haman.