Als Georg Philipp Telemann 1701 zu seinem Jurastudium nach Leipzig aufbrach, machte er nicht nur Station in Halle an der Saale, um den ein Jahr später für ein paar Monate die rechtswissenschaftlichen Vorlesungen hörenden Georg Friedrich Händel erstmals zu besuchen, sondern gleich lebenslange Freundschaft mit ihm zu schließen. Unter anderem verband sie – wie Telemann mit einem seiner weiteren absoluten Best Friends, Johann Georg Pisendel – eine ausgesprochen innige Blumenliebe. Eine süß-ernste Gemeinsamkeit, derer es im Falle des vom Pfeil des zuvor in Triumpharroganz verspotteten Amor getroffenen Apollos und der sich gegen dessen Obsession wehrenden Dafne gar keine gibt, um beide irgendwie und irgendwann zusammenzubringen.
Allein Apollos „Ablassen“ von freiheitsbeseelter Dafne nach deren Verwandlung zu einem Lorbeerbaum trägt allegorische Blüten, doch noch halbwegs anständig aus dieser Nummer herauszukommen. Neben Händel vertonte Ovids Stoff der zweifellos seinerzeit mitmeistgeachtete deutsche Opernschaffer Carl Heinrich Graun; ebenso im damalig beliebten Genre einer weltlichen Kantate, nichts anderes als ein auf eine bis zwei (manchmal drei) Stimmen komprimiertes Mini-Drama. Beide standen auf dem Programm von Sophie Junker und Tomáš Král beim Dortmunder Klangvokal-Festival, die mit dem {oh!} Orkiestra unter Leitung Martyna Pastuszkas Telemann darin seinen stiftenden Platz der immerhin instrumental erfüllten Zuneigung schenkten.
Und zwar mit der E-Moll-Ouvertürensuite aus Sätzen seiner verschollenen, rein librettohistorisch sonderbaren, doch gütlich endenden Oper L'Omphale, die wiederum teils ehrereweisende Kopieimplementierungen von Vorgänger-Komponist André Cardinale Destouches enthält. So wie Apollo und Amor eben ihre Bögen später spannen sollten, trafen die mit eingesetztem Gewicht und vollklanglichem, royalem Selbstbewusstsein und -verständnis bedachten Streicherutensilien von {oh!} darin verlässlich das Empfindungszentrum, Notenschreiber Telemann (bekanntlich meinem Liebling) und Interpreten mit der gegenseitig entfachten Leidenschaft zu begegnen. Vor allem schürte sie die ensembleseitige Rhythmikschärfe und Artikulationssiedepunkte gepaart mit spieltechnischer Lockerheit und mitreißendem Elan durch das Konzertmeister-Violin-Engagement Pastuszkas beziehungsweise von verzierender Anna Firlus am Cembalo, so dass der eingetriebenen Emotion nach der der Satzoriginalität vorgezogenen, perkussiven Barockfolkeinlage „Les Jeux“ mit Zwischenapplaus Rechnung getragen werden musste. In dieser griffen die colla-parte-Oboisten Benoît Laurent und Pedro Castro zur Sopranblockflöte, während Letzterer mit vorheriger, wiegender „Pastorelle“ für das typisch liebesbildliche Arkadien in tiefstes Altregister des Holzes langte.
Lenkte das Orkiestra je voluminöse, agogisch und expressiv aufgetragene Würde und Spritzigkeit noch weiter zielgenau in entsprechende Satzbahnen, unterlegte es in Grauns Kantate Apollo amante di Dafne mustergültig Sophie Junker. In scheinbar verwirrender, im Endeffekt allerdings für wünschenswertes Verständnis umso theatralisch-tragischerer Form nimmt der Sopran darin Rolle, Gefühle und Gedanken Apollos bei Betrachtung des Lorbeerbaums ein: instrumentaldramaturgisch übernehmend also stürmische Regung im Verlust der großen Liebe beziehungsweise Abfindung und zuversichtlichen Trost in symbolisch zeitloser, andenkender Verwendungsbestimmung des dunkelgrünen Blattwerks. Nicht prädestinierter konnte Junker dafür ihre meinerseits so haltlos geschätzten Fähigkeiten von lebendiger, stilistischer, phrasierungseleganter, textgestalterischer sowie brillant gewandter Kunsthaftig- und aus sich ergebender Natürlichkeit einsetzen. Beste Vokalität im doppelt und dreifachen Sinne!
Als sich erwehrende, mit klarem, feurigem, aber auch sich nicht anders zu helfen wissendem Kopf einer sich richtig metamorphosierenden Dafne waren das alles ihre so anziehenden Ausstrahlungsmerkmale, die sie für Apollo in Händels großer Kantate mit später wiederbenutzten Hits für seine Opern erst recht noch attraktiver machte. {oh!} leitete sie mit dem Allegro aus dem Concerto grosso, Op.6 Nr.7 als Sinfonia ein und erwarb sich – selbst wenn Laurents Oboenklang im Solo zu Dafnes „Felicissima“ wermutströpfelnd nicht über die gesamte Strecke hundertprozentig gefiel – als paukenimitatorische Streitmacht oder sarabandiges Trauertonband im Finale, jedenfalls als musische Pracht verdiente Lorbeerkränze. Mit definitivem (Bariton-)Brustton der Selbstüberzeugung, temperamentlicher, genüsslicher, kon- und fast komturstarker Gewaltsamkeit, luftig-leichter, farberhaltender Schmeichelei sowie ebenfalls großer stimmlicher Unübertriebenheit in aller obsessiven Passion, zum Schluss nunmal selbstschockiert, verlieh Král dem Apollo das heiße, menschlich gar nachvollziehbare Herz eines Olympresidenten, der als Gottheit besser über die Musik und an diesem Abend über der Aufführung wachte.