Selten waren die Erwartung an eine Neuinszenierung einer Operette so hoch wie aktuell am MusikTheater an der Wien. Nach mehrjährigen Renovierungsarbeiten wurde mit Das Spitzentuch der Königin von Johann Strauss (Sohn) die erste szenische Aufführung mit neuer Technik im Glanze des alten Saals präsentiert. Ganz geplant war das freilich nicht. Ursprünglich war für die große Wiederöffnung ein Stück von Schumann angedacht. Doch mit Blick auf den bevorstehenden 200. Geburtstag des Walzerkönigs wirkt dieser Zufall fast wie kalkuliert. Zumal das selten gespielte Werk 1880, ebenfalls nach längeren Renovierungsarbeiten, genau hier im Theater an der Wien uraufgeführt wurde.

Die Handlung des „Spitzentuchs“ ist recht schnell skizziert: Die Operette spielt in Portugal des 16. Jahrhunderts oder Spanien, jedenfalls irgendwo, wo viel Walzer getanzt wird. Ganz genau nimmt das Strauss selbst nicht. Im Kern geht es um einen korrupten Premierminister, der die Regierungsgeschäfte für den minderjährigen König übernommen hat und ihn von der Thronfolge abhalten möchte. Kinderlos soll er bleiben und so hat er seinen unfreiwilligen Zögling zum Gourmand abgerichtet, der an Trüffelpasteten, nicht aber am Schoß der Königin interessiert ist. Ohne geregelte Erbfolge, so die Prämisse, würde das Königreich dann nach spätestens 60 Jahren an Spanien fallen.
Wie genau das praktisch vonstattengehen soll, darüber darf man als Zuschauer nicht zu genau nachdenken. Ist aber auch egal, denn die Königin zieht, mit Hilfe des Dichters Cervantes, dem kruden Plan einen Strich durch die Rechnung. Bis das gelingt vergehen zweieinhalb Stunden vollgefüllt mir Irrungen und Wirrungen, in denen man mitschunkeln und brav mitlachen darf.
Christian Thausing wählt wahrscheinlich genau deswegen als Austragungsort für diese Inszenierungen einen Jahrmarkt, in dessen Zentrum sich ein zweistöckiges Karussell dreht. Schaukelpferde & Co werden von sieben Balletttänzern gekonnt zum Leben erweckt und begleiten das einigermaßen vorhersehbare Treiben auf der Bühne.
Die Kostüme sind dabei ein eklektischer Mix aus modern bedruckten Stoffen und historischen Schnitten, der am ehesten in der Belle Époque angesiedelt werden kann. Das ist nun wahrlich keine bahnbrechend neue Idee, aber dennoch wird so zumindest die etwas unscharfe Verortung des Stückes selbst auf die Bühne gebracht.
Schlussendlich lässt sich das Werk ja musikalisch, wenn man vom sporadischen Einsatz von ein paar Kastagnetten absieht, nicht wirklich auf der iberisches Halbinsel ansiedeln. Und auch wenn es mit dem Kinderkönig Sebastian I. von Portugal (1554 -1578) ein historisches Vorbild gab, so finden sich im Libretto etwas tiefer versteckt durchaus mehr Parallelen zu Kronprinz Rudolf von Österreich.
Dieser war bereits zur Zeit der Uraufführung als „bedenklich liberal“ verschrien, doch hätte es eine direkte Anspielung auf diesen Themenkomplex niemals durch die Zensur geschafft. Diese Aufgabe übernimmt bei Strauss entsprechen der im Exil lebende Dichter Cervantes. Wiederholt setzt er sich für Redefreiheit und die Freiheit der Satire ein, während der Premierminister für rigorose Zensur steht. Ein Thema, das aktueller den je ist. Thausing macht den berühmten Autor von Don Quixote deswegen zum Zentrum seiner Inszenierung. Alles dreht sich um ihn.
Maximilian Mayer singt diesen recht passabel und stabil, ohne jedoch große gesangliche Glanzlichter zu setzen. Er überzeugt vor allem durch glaubhaftes und wandelbares Schauspiel. Sein Cervantes ist realitätsnah, durchaus ein Charmeur, während er in der Verkleidung als englischer Gesandter oder einfacher Wirt gekonnt die Balance zwischen augenzwinkernder Komik und Plausibilität findet.
Michael Laurenz gelingt dies nicht auf die gleiche Weise. Er legt die Rolle als Premierminister und Graf von Villalobos zu pantomimenhaft überzogen und erzwungen geckenhaft an. Der Tenor begibt sich stimmlich zu selten in die tiefen Ebenen seines diabolischen Plans herab, singt vorhersehbar, aber zumindest sicher. Vielleicht war das von der Regie so gewollt. Am Ende sollte er trotzdem den meisten Applaus ernten – zu Recht.
Elissa Huber kann als Königin ebenfalls nicht durchweg Punkten. Zwar mimt sie die düpierte Ehefrau ganz manierlich, kann die Mischung aus Verzweiflung und Ohnmacht aber nur ansatzweise in ihre Stimme einarbeiten. Oft wirkt es leider eher zickig und schrill.
Ähnlich verhält es sich mit Diana Haller als König. Stimmlich über weite Teile zu bedeckt, sucht man vergeblich nach der jugendliche Naivität des adoleszenten Herrscher und der klaren Brillanz einer Hosenrolle.
Auch im Graben werden an diesem Abend keine echten Highlights gesetzt. Martynas Stakionis führt das Wiener KammerOrchester detailverliebt an. Sichtlich bemüht kämpft er um jede einzelne Phrase und schwingt den Taktstock mit großer Akribie. Es wäre zu hoffen, dass es ihm in der Zukunft auch gelingt, das Orchester einfach mal fahren zu lassen. So tönt es oft einfach zu statisch.
Wer eine unterhaltsame Operette, ohne viel Tiefgang und bunten Kostümen sucht, kommt sicherlich trotzdem auf seine Kosten. Musikalisch hat das MusikTheater an der Wien sonst mehr zu bieten. So bleibt diese Inszenierung ein seichtes Ringelspiel mit gelegentlichem Anfassen.