Wohlwissend, dass Bachs Weihnachtsoratorium alle Jahre wieder zur gegebenen Zeit mit Händels Messias um seinen Stammhalterplatz auf dem Musikpodium konkurriert, freute ich mich, trotz der vorherigen Ausschau und Aussicht auf weniger eingesessene Stücke doch in diesen gänzlich unerhofften Tagen zum Jahreswechsel mit vermisster, neu entdeckter oder notdürftiger arrangierter Tradition in den Genuss der so vertrauten Klänge Bachs Kantaten zu den vorgesehenen Anlässen gekommen zu sein. Die Plattform dafür bot die Voces8-Foundation, die den ihr verbundenen Dirigenten Paul McCreesh und seine Gabrielis einlud, für den Abschluss der weihnachtlichen Reihe Live from London zu sorgen.
McCreesh ist auf der britischen Insel als starker Streiter für Musikerziehung an allen Schulen bekannt, nicht abwegig scheint da die Verbindung zu Bach und der Leipziger Institution von Sankt Thomas. Um seine Haltung und seinen Einsatz vor allem auch für die von ihm praktizierte Vokalausbildung zu unterstreichen, fördert er mit seinem Gabrieli Roar die ganz jungen Musiker und lässt sie in großen Aufführungen erscheinen. Dies gelang jetzt im Einspielen des Weihnachtsoratoriums, bei dem nach seiner gleichfalls in sich tragenden Rifkin'schen/Parrott'schen Überzeugung der Chor im Konzert allerdings nur mit etablierten Solisten besetzt ist, indem zwölf beteiligte Bach to School Choirs in virtueller Schalte vor jeder Kantate einen Choral singen durften. Diesen berührenden und aufmunternden Beispielen eines Gemeindelieds waren zudem die Sinfoniae BWV 29, 42, 49, 52, 169 und 1045 vorangestellt, die die musikalische Mischung aus wohltuender Leichtfüßigkeit, Güte, Bescheidenheit, Andacht, Liebreiz und Festlichkeit angesichts der grundlegenden Weihnachtsgeschichte konstituierten.
Im mit Barnaby Smith aufgezeichneten Interview verband McCreesh die solistischen Gesangskapazitäten in allen Chören des Oratoriums auch mit einer Organik zwischen den Arien und dem Tutti. Diesen Worten begegnete man mit dem Ohr, als nicht nur die hellen, klaren und lichtblickenden Farben der Instrumentalisten und des wechselnden Vokalquartetts aus Anna Dennis, Carolyn Sampson, Helen Charlston, Tim Mead, Hugo Hymas, Jeremy Budd, Roderick Williams und Ashley Riches über die ehrwürdige und sanft-beschallte Frohlockung der Geburt Christi in den Raum geworfen wurden, sondern sich Töne, Stil und Artikulation deckten. Es breitete sich mit dem berüchtigten, beschwingt-atmenden, nicht zu hektischen Bogen der Gabrieli Players unter bewährter Führung von Konzertmeisterin Catherine Martin ein lupenreiner, verständlicher und geschmackvoller Flow aus, der sich gleichzeitig wie eine angenehme Decke um die zarten Glieder und Gedanken legte. Als generell persönlicher Favorit aller Teile sei mir gestattet, den Eröffnungschor von Teil V als köstlichsten Leckerbissen herauszugreifen.