Seit der Saison 2021/22 hat auch das Zürcher Kammerorchester sein eigenes Festival. Stand dieses vor einem Jahr unter dem etwas beliebigen Motto „Fantasien”, steht diesmal ein Musiker im Fokus: der israelische Mandolinenspieler Avi Avital. Weitergeführt wird die Idee, neue Spielstätten zu erproben. Die sieben Konzerte des verlängerten Wochenendes, alle unter Mitwirkung des Residenzkünstlers, finden im ZKO-Haus, an einer Musikschule, in zwei Kirchen und im Gemeindezentrum der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich statt.

Mandoline und Orchester, das zierliche Zupfinstrument aus der Lautenfamilie und der Sound von vierzehn Streichinstrumenten – kann das gut gehen? Ja, es kann, wenn die räumlichen Verhältnisse stimmen. Die evangelisch-reformierte Johanneskirche jedenfalls eignete sich von der Grösse und der Akustik her ausgezeichnet für das vierte Konzert des Festivals. Und wer vielleicht gedacht hat, dass eine Mandoline nur schmächtige Töne produzieren kann, hat nicht mit Avi Avital gerechnet. Denn dieser Künstler, der erste Mandolinist überhaupt, der für den Grammy Award nominiert wurde, kann auf seinem Instrument auch wahre Stürme entfachen. Zudem sind die Mitglieder des ZKO professionell genug, um sich beim Begleiten der nötigen Zurückhaltung zu befleissigen.
„Barocco italiano” lautete die Klammer der Darbietung. Das passte punktgenau, denn die Mandoline stammt aus Neapel und erlebte in der Barockzeit ihre Blüte. Doch leider gibt es nur wenige Originalkompositionen für Mandoline und Orchester. Eine davon ist das Konzert in Es-Dur von Giovanni Paisiello. In den Ecksätzen, die in typischer Ritornello-Form gehalten sind, glänzte der Solist vor allem in den Zwischenteilen. Und im langsamen Mittelsatz beeindruckte er mit einem in Lautstärke, Klangfarbe und Artikulation höchst differenzierten Spiel. Lange ausgehaltene Töne kommen hier instrumentenspezifisch nicht vor, dafür ruhig fliessende Melismen und gelegentlich einige kecke Tremoli. Eine Originalkomposition ist auch das Mandolinen-Konzert des Neapolitaners Emanuele Barbella. In die Vollen ging Avital in der abschliessenden Giga, bei der er die Mandoline sozusagen in ein Perkussionsinstrument verwandelte.
Wo Originale rar sind, behilft man sich mit Transkriptionen. Gleich zu Beginn warteten Solist und Orchester mit einer Bearbeitung des bekannten a-Moll-Violinkonzerts von Antonio Vivaldi (RV 356) auf. Wer es kennt, brauchte eine Weile, um sich auf die schnell verklingenden Töne der Mandoline im Solopart einzustellen. Und gerade im Mittelsatz vermisste man die schmeichelnden und lange nachklingenden Töne einer Violine. Wenig zu bearbeiten gibt es bei Vivaldis Lautenkonzert in D-Dur, RV93, sind doch Laute und Mandoline in Klang und Tonumfang sehr ähnlich. Auch hier zeigte sich Avital als sensibler und gleichzeitig virtuoser Musiker, der lustvoll musiziert und dabei stets mit dem Orchester in Kontakt bleibt.
Das Zürcher Kammerorchester ist kein Barockorchester, sondern ein Allround-Ensemble und spielt auf modernen Instrumenten. Mit dem typischen Klang und der forcierten Spielweise der Originalklangensembles kann es nicht mithalten, aber die Fähigkeit der Musiker, sich der barocken Aufführungspraxis anzunähern, ist erstaunlich. Unter der gekonnten Leitung von Konzertmeister Willi Zimmermann gelangen das Concerto grosso, Op.5 Nr.5 von Francesco Geminiani und das Concerto grosso, Op.6 Nr.4 als schöne Gruppenleistung auf hohem Niveau.
Eine Überraschung bot Avi Avital mit seiner letzten Zugabe, einem wohl von der israelischen Folklore inspirierten Stück, das in seinem zweiten Teil in einen ekstatisch vorgetragenen Tanz mündete. Eigentlich schade, dass man nicht mehr solche Stücke gehört hat.