Es ist bereits die siebte „quartettissimo!“-Saison im Kurhaus Bad Tölz, in der international renommierte Streichquartette im bestens gefüllten Kursaal im bayerischen Oberland zu bewundern sind. An diesem Abend steht das Amaryllis Quartett aus Köln im Mittelpunkt mit einer delikaten Programmfolge zwischen Klassik und Moderne. Gustav Frielinghaus und Lena Sandoz (Violinen), Mareike Hefti (Viola) und Yves Sandoz (Violoncello) haben das Quartett im Jahr 2000 gegründet, studierten bei Walter Levin in Basel, später beim Alban Berg Quartett in Köln. Mit einem der beliebtesten Streichquartette von Ludwig van Beethoven eröffneten sie einen anregenden Abend.
Nach den drei Quartetten Op.59, die wegen ihres hohen Anspruchs an die Technik der Ausführenden zunächst nicht sehr erfolgreich waren, plante Beethoven ein eher heiteres Werk. Sein Es-Dur-Quartett Op.74, in derselben Tonart wie das benachbarte Klavierkonzert, wurde auch sofort als „unbeschwerter“, „gelöster“ gewürdigt. Aufhorchen ließ das Amaryllis Quartett gleich mit dem Poco Adagio zu Beginn: 24 geheimnisvolle Takte lang näherten die Streicher sich auf kontrapunktischen Umwegen der Einführung des Es-Dur-Hauptthemas, trieben danach das Wechselspiel von Haupt- und Seitenthema im Dissonanzen-Dschungel am Ende des Allegro auf die Spitze. Pizzicati und Dreiklangsbrechungen ließen einen Harfen-Effekt aufklingen, der dem Stück seinen geläufigen Beinamen gegeben hat.
Wunderbar meditativ und kantabel das Adagio danach, virtuos flink in Oktavsprüngen und Tonkaskaden das Presto. Der volksliedhafte Variationensatz am Ende wurde wieder zum Experimentierfeld in Klangfarben. Maximale Symbiose des Ensembles bei ebenso gleichzeitiger maximaler Individualisierung der Stimmen war da zu bewundern: ein echtes Kunststück, das vor allem der Primarius mit weit gespannter Ausdruckspalette markant heraushob.
Ein wenig anders ist die gewohnte Optik auf dem Podium an diesem Abend: hinter dem Halbkreis der Streicher prangt ein großer Steinway-D-Flügel, eine Legende in den Konzerthäusern der Welt. Zum Quartett kommt Lise de la Salle aus Paris hinzu, eine der international zurzeit gefragtesten jungen Konzertpianistinnen. Und mit Bravour machten sie die Hörer mit einem wenig bekannten Jugendwerk von Gustav Mahler bekannt, dessen Symphonien derzeit zu den meistgespielten in den Orchesterkonzerten gehören. Den Klavierquartettsatz a-Moll des Sechzehnjährigen, Kopfsatz eines kompletten Quartetts, das in Teilen auf dem Weg zu einem Wettbewerb in St. Petersburg verloren ging, ließ in seinem Klangrausch an Mahlers Lehrer Brahms denken. Sanft spannten Pianistin und Cellist das elegische Hauptthema auf, leise nahmen die anderen die Melodie auf. Durchführung und Verdichtung mündeten in erregten chromatischen Läufen bis in einen wieder pianissimo ausklingenden Schluss.