Prometheus schenkte den Menschen das Feuer und gab ihnen damit göttliche Macht. Die Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim und der Cellist Kian Soltani schenkten den Zuhörern in der Berliner Philharmonie ein musikalisches Feuerwerk und gaben ihnen Freude, den schönsten aller Götterfunken. Das Repertoire war geprägt von Stücken mit starken biographischen und programmatischen Bezügen meist zu antiken Mythen.

Den Anfang bildete Die Geschöpfe des Prometheus, welches Ludwig van Beethoven als Ouvertüre zu einem allegorisch-historischen Ballett auf die Prometheus-Sage komponierte. Schmissig schleuderten die Streicher den aufhorchen lassenden Sekundakkord in den Zuschauerraum und frisch und frei übernahmen die Holzbläser mit dem einleitenden Eröffnungsthema. Beethoven experimentiert in seiner Prometheus-Ouvertüre mit musikalischen Effekten in Form ungewöhnlicher Einleitungen und Schlüsse, rhythmischer Spielereien, abrupter Tempi-Wechsel und selten gehörter Soli wie beispielsweise Harfe und Bassetthorn. Er skizziert kontrastreiche Themen und unorthodoxe Durchführungen oft nur andeutungshaft, manchmal nur wenige Takte. All dies war gefundenes musikalisches Fressen für die exzellent eingestellten Instrumentalisten. Präzise Stimmgruppenarbeit, hervorragende Solisten, allen voran die überragenden Bläser, klare Diktion und ein elegant schlagender Daniel Barenboim garantierten den würdigen Beginn eines außergewöhnlichen Konzertabends.

Es folgte das Cellokonzert von Antonín Dvořák mit Kian Soltani als Solisten. Schon beim ersten Einsatz Soltanis nach der langen und differenziert musizierten Orchestereinleitung wurde deutlich, dass hier ein zurecht gepriesenes Ausnahmetalent die Ohren und Herzen der Zuhörer beglücken würde. Soltani ließ keinen Zweifel, wer die Deutungshoheit dieses wohl romantischsten aller Cellokonzerte hatte und bändigte sein ungestümes Cellotier und die engagierten Orchestermusiker gleichermaßen, wobei letztere ohnehin feinfühlig und sensibel begleiteten, ohne sich jedoch übermäßig zurückzuhalten. Das mussten sie auch nicht, denn Kian Soltani verfügt über einen strahlend-schönen weit tragenden Celloton und ein überwältigendes Charisma. Aber nicht nur unbändigen Gestaltungswillen und fast kitschigen Celloschmelz brachte Soltani auf die Bühne, sondern auch unerhört griffige und aufrüttelnde Deutungen einiger hundertmal gehörter Passagen in diesem wohl beliebtesten aller Cellokonzerte. Großartig, wie er in der Reprise des ersten Satzes noch einmal inne hielt vor der abschließenden Coda und zur elegisch-sphärischen Klang-Meditation einlud, nur im nächsten Moment wieder zuzupacken und den Satz in leuchtendem H-Dur zu Ende zu bringen. Den zweiten Satz spielte der aus einer persischen Musikerfamilie stammende Solist kräftig, aber auch facetten- und farbenreich, teils vielleicht ein wenig zu dick aufgetragen. Der letzte Satz dann war ein Filetstück virtuoser Ausdruckskunst, die Spiccato-Einsätze mit vertrackten Doppelgriffen in der hohen Daumenlage blitzsauber, ohne sich je im Detail zu verlieren. Der brillanten Querflöten-Solistin und dem beherzt aufspielenden Konzertmeister gebührt besonderes Lob und auch Barenboim zollte ihnen sichtbar Respekt nach ihren perfekten Solo-Einlagen. Dann noch einmal kurzer Moment, in dem Soltani die Schwerkraft am Satzende scheinbar aufhob und die Zeit stehenblieb, ein aufbrausendes Orchester mit den finalen Akkordschichtungen.

Als Zugabe gab es ein von Soltani selbst komponiertes Stück für Celloensemble mit Solocello und Kontrabass, welches er auf Grundlage des Liedes „Lass mich in Ruhe“ von Dvořák geschrieben hatte.

Nikos Skalkottas (1904-1949) ist ein hierzulande fast gänzlich unbekannter griechischer Komponist, der schon in jungen Jahren nach Berlin kam und dort 1927 in Arnold Schönbergs Meisterklasse an der Preußischen Akademie der Künste aufgenommen wurde. Schönberg soll gesagt haben, dass neben wenigen anderen seiner Schüler wie Webern, Berg und Eisler auch Skalkotta ein echter Komponist geworden sei. Davon durften sich auch die Zuhörer überzeugen. Die Heimkehr des Odysseus wird oft als „Symphonie in einem Satz“ bezeichnet, was jedoch irreführend ist, da es sich um die Ouvertüre zu einer von Skalkotta geplanten Oper handelt. (Diese wäre jedoch mit fast 30 Minuten Länge vermutlich als Ouvertüre zu lang gewesen.) Da Skalkotta verstarb, bevor er mit der Arbeit an der Oper beginnen konnte, wird das Stück heutzutage in voller Länge aufgeführt. Skalotta geht hier mit der Dodekaphonie seines Lehrers Schönberg frei und individuell um, indem er in den einzelnen Abschnitten des Werkes verschiedene Zwölftonreihen zur Melodie- und Harmoniebildung einsetzt. Die Vertonung von Odysseus‘ Aufenthalt bei den Phaiaken gestaltet er als dramaturgisches Meisterwerk, das komplexe Kontrapunktik mit rhythmischer und klangmalerischer Expressivität vereint. Nicht so bei der Berliner Staatskapelle, deren Musiker auch hier bestens präpariert und hochmotiviert eine blitzsaubere Interpretation dieser vertrackten Partitur präsentierten. Daniel Barenboim dirigierte zwar ausnahmsweise mit dem Notentext vor Augen, führte aber nicht minder befreit und souverän seine konzentrierte Operntruppe durch alle musikalischen Untiefen, ohne je Schiffbruch zu erleiden oder auch nur ins Schlingern zu geraten.

Die grandiose Leistung der Staatskapelle setzte sich auch beim letzten Stück des Abends fort, der Suite Nr. 2 Daphnis et Chloé von Maurice Ravel. Barenboim zeigte wieder einmal, welch universal versierter Künstler er ist und wie tief er in jegliche Partitur eindringen und die musikalische Wahrheit zutage fördern kann, um so den großen epischen Bogen der Programmauswahl von Beethoven über Dvořák zu Skalkottas und schließlich dem französischen Impressionisten Ravel zu spannen. Wieder brillierten die Harfen, die Bläser, die Perkussionisten die Streicher, ja schlicht die gesamte Berliner Staatskapelle. Gäbe es die olympischen Orchesterspiele, dann hätte Barenboim, der schon lange in der Ruhmeshalle der größten Musikgenies aller Zeiten seinen Platz reserviert hat, mit seinem Orchester an diesem exzeptionellen Konzertabend mit einer epochenüberspannenden Weltklasse-Leistung eine Goldmedaille verdient.

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