Der Klavierabend des Südkoreaners Seong-Jin Cho im Münchener Prinzregententheater zeigte wieder einmal, wie lebendig und offen Asiaten Musik und Kultur genre-übergreifend feiern und genießen. Erfreulich viele junge Menschen waren gekommen, um zwei Stunden mucksmäuschenstill ihrem Idol zu lauschen, während dieser ohne jegliche Star-Allüren anspruchsvolle Klassik kunstvoll und tiefgründig interpretierte. Da ein Live-Konzert auch immer von der Stimmung des Publikums getragen wird, war diese schwelgerische Spannung neben der außerordentlichen Spielkunst ein wesentliches Glücksmoment dieses Abends.

Franz Liszt versetzte sein Publikum derart in Euphorie, dass lisztomanische Zuhörer vor Ekstase reihenweise in Ohnmacht fielen. Gar so ekstatisch war freilich das Publikum in München noch nicht, als Seong-Jin Cho den Abend mit einem Stück des großen Wiener Virtuosen eröffnet hatte, und zwar mit Les jeux d’eau à la villa d’Este von Franz Liszt. Cho hatte anfangs noch Schwierigkeiten, Struktur zu schaffen in dieser von Klangfarbenmalerei geprägten Darstellung der Brunnen Villa d’Este, in der Liszt bei einem befreundeten Kardinal häufig zu Besuch gewesen war.
Nach diesem zwar technisch brillanten, aber eben nicht ganz überzeugend phrasierten Einstieg folgte sodann eine überwältigende Interpretation der selten gehörten Sonate Nr. 15 D-Dur „Pastorale“, Op.28 von Ludwig van Beethoven. Was ihm am Anfang noch nicht so recht gelingen mochte, präsentierte Seong-Jin Cho nun in Vollendung: Ein in sich schlüssiges, über vier Sätze abgerundetes Meisterwerk, das Beethoven mit Anfang 30 – etwa im Alter des Pianisten – geschrieben hatte. Beethoven hätte seine Freude gehabt, die perfekt geschliffene, aber zugleich spontan nachhorchende und enorm spannungsreiche Interpretation Seong-Jin Chos zu hören. Nicht übertriebene Ehrfurcht, sondern spielerische Freude an den genialen und raffinierten Einfällen Beethovens, an den kleinen Gesten und zarten Zwischentönen.
Immer wieder huschte Cho ein kurzes Lächeln übers sonst so ernsthaft konzentrierte Gesicht, wenn ihm Passagen so exquisit gelangen wie die launigen Staccato-Sechzehnteltriolen im Dur-Teil des zweiten Satzes. Die majestätischen Passagen des abschließenden Rondos wiederum spielte Seong-Jin Cho mit geschmackvoller Wucht, wobei er das Klangspektrum des Konzertflügels sensibel auslotete. Dann herrschte erst einmal Stille im Saal ob des noch einige Momente nachfunkelnden musikalischen Juwels, das Cho meisterlich geschliffen hatte.
Den fünfsätzigen Klavierzyklus Szabadban (Im Freien) von Béla Bartók hört man noch seltener als die Beethoven-Sonate. Umso erfreulicher, dass Seong-Jin Cho auch dieses Werk bis in die letzte Klangschattierung ausgearbeitet hat. Die hämmernd perkussiven Eingangsrhythmen im ersten Satz Mit Trommeln und Pfeifen spielte er so beherzt, dass man sich fast Sorgen um den Flügel machte. Er changierte zwischen feinsinnig tänzerisch und synkopisch martelliert im dritten an einen Dudelsack gemahnenden Satz Muettes (Moderato), gefolgt vom selten so sphärisch meditativ gehörten Lento Klänge der Nacht. Bei der abschließenden Hetzjagd legte Seong-Jin Cho seinen ganzen Körper in die hämmernden Oktaven und fiel beim letzten Hammerschlag fast vom Stuhl. So wie auch die Zuhörer – vor Begeisterung.
Begeisternd war auch der zweite Teil des Abends mit der monumentalen Sonate Nr. 3 f-moll, Op.5 von Johannes Brahms. Programmatisch klug gewählt nach Beethoven und Bartók. Hätte man eine KI gefragt, diese beiden Stile zu vereinen, könnte so etwas wie Brahms herauskommen: Rhythmisch perkussiv, kontrapunktisch extrem dicht und verflochten, aber auch melodiös; ein Komponist, der aus kleinsten Fragmenten ganze Klang-Kathedralen aufschichtet. Wenn er einen Baumeister hat wie Seong-Jin Cho. Wagemutig und unerbittlich warf sich der südkoreanische Tastendresseur in die Partitur und kämpfte sichtlich in jedem Takt, um nichts ungenutzt zu lassen an musikalischem Material, ausgelotet bis in die letzten Winkel des Brahms‘schen Tonsatzes. Zum ersten Mal begann er zu schwitzen; bereits am Ende des ersten Satzes fielen ihm die Tropfen von der Stirn. Seine Interpretation ging auch dem Publikum unter die Haut: Zwischen den Sätzen hätte man eine Stecknadel fallen hören. Und dann die Coda mit all den Referenzen auf das bis dahin verwendete Material, halsbrecherisch komponiert und als Drahtseilakt ohne Netz und doppelten Boden interpretiert.
Das Konzert wurde von München Musik organisiert.