Die überaus fruchtbare Zusammenarbeit des norwegischen Dirigenten Edward Gardner mit dem London Philharmonic Orchestra währt nun bereits seit über zwei Jahrzehnten und 2019 wählte das Orchester ihn zu seinem Principal Conductor, ihrem Chefdirigenten. Just zum diesjährigen Saisonbeginn und in Vorbereitung ihrer Europatournee wurde Gardners Vertrag aufgrund des beachtlichen künstlerischen Erfolges um mehrere Jahre verlängert.
Das Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll, Op.15 von Johannes Brahms bildete den Auftakt des Konzerts in der Alten Oper Frankfurt, veranstaltet von Pro Arte Frankfurter Konzertdirektion. Für den Solopart konnte kein geringerer als der isländische Pianist Víkingur Ólafsson gewonnen werden, der in dieser Saison seinen künstlerischen Fokus gänzlich den beiden Brahms-Klavierkonzerten widmet. Er wird in den kommenden Monaten beide Werke mit einer Vielzahl renommierter europäischer wie auch US-amerikanischer Orchester aufführen.
Mit einem Trommelwirbel und entfesselnd-kraftvollen Trillern, einer sinfonischen Tondichtung gleichenden, zugleich jedes Maß sprengenden, Akkordsprüngen leitete Gardner das Konzert mit dem LPO im Fortissimo ein. Mit dieser explosiven, ausgiebigen Einleitung im Kopfsatz ließ er sein Publikum spüren, dass wir es hier noch mit einem jungen, zügellosen Brahms zu tun haben, der – noch lange vor der Komposition seiner Ersten Symphonie – erst zu seiner eigenen Klangsprache finden muss. Er hat jedoch ein Meisterwerk komponiert, welches zur Uraufführung die Aufnahmefähigkeit des damaligen Konzertpublikums überreizte. Nach knapp zwei Minuten Vorspiel stieg der Pianist Ólafsson suggestiv, geradezu demütig und beiläufig ein, ganz so als habe er von dem Orchestertrubel nichts mitbekommen. Von nun an entwickelte sich diese Aufführung zu einem stetigen Gegeneinander, einen musikalischen Dualismus im besten Sinne: Explosiver Orchesterapparat vs. innig-poetischer Klaviersolist.

Gardner bewies sich als Dirigent nicht bloß ein herkömmlicher, sich dem Solisten unterordnender Orchesterbegleiter, sondern forcierte ein musikalisches Aneinanderreiben, welches die Kontraste der Partitur umso mehr herausarbeitete. Sie schenkten sich hierbei nichts – der Dirigent stellte sich seinem Pianisten immer wieder entgegen – und weckte so den urgewaltigen Charakter des frühen Brahms zum Leben. Ólafsson verschaffte trotz seines sanften Anschlags mittels einer unglaublichen Farbpalette seines Spiels Gehör und konnte als Solist über weite Strecken immer wieder die musikalische Führung übernehmen. Mit den charakterstark akzentuierenden Holzbläsern des Adagios fanden Dirigent und Solist schließlich einer harmonischen Zweisamkeit, welche beide im etwas rasch genommenen Rondo zu einer mustergültigen Brahms-Interpretation abrundeten.
Ähnlich revolutionär und umbrüchig wie Brahms frühes Klavierkonzert muss fünfzig Jahre zuvor auch die Uraufführung der Dritten Symphonie von Ludwig van Beethoven auf das Publikum gewirkt haben. Die Symphonie, die mit traditionellen Strukturen brach und durch ihre gewaltige Ausdruckskraft bestach, definierte das klassische Musikverständnis neu – ein Werk, an dem sich das LPO mit einer langen Aufführungspraxis messen muss.
Gardner entwickelte einen schlanken, modernen Beethovenklang, welchen er durch rasche, gut strukturierte, jedoch nie überhitzte Tempi zu einer facettenreichen Interpretation entwickelte. Bedauerlicherweise schien seine musikalische Gestaltung im existenziellen Trauermarsch gegenüber dem einleitenden Kopfsatz etwas kontrastarm und kühl. Lediglich mit dem Finalsatz wurden die ersehnten leidenschaftlich, temperamentvollen Ausbrüche, gesteigert zu einem dramatischen Höhepunkt erreicht. Zweifelsohne präsentierten Gardner und das LPO eine raffiniert durchgearbeitete Eroica, die emotionale Tiefe der vorangegangen Brahms-Interpretation konnten sie hierbei jedoch nicht erreichen.
Nach dieser sensationellen Brahms-Interpretation wird Víkingur Ólafssons Rückkehr in die Alte Oper Frankfurt sehnlichst erwartet. Brahms Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur, Op.83 wird der isländische Pianist in vier Monaten, dann jedoch in Begleitung von Paavo Järvi und seinem Tonhalle-Orchester Zürich, darbieten.