Anima Eterna Brugge und Jos van Immerseel verständigten sich darauf, seit der Spielzeit 2021/22 mit einem Quartett an Gastdirigenten in die Zukunft zu gehen. Neben dem dadurch vor dem Orchester kürzer tretenden Gründungsleiter sind Giovanni Antonini, Bart Van Reyn, der langjährigen Konzertmeisterin Midori Seiler und Pablo Heras-Casado dabei jeweils verschiedene Schwerpunkte in den Programmen zugewiesen. Letztgenannter ist für die Erarbeitung, Aufführung und Einspielung Anton Bruckners Symphonien zuständig. Waren sie 2022 mit der Siebten gestartet und steht beim großen, mit Originalklang und Erstversion lockenden Linzer Jubiläumsfestival zu 200 Jahren Bruckner die Dritte an, erwartete den interessierten Konzertbesucher nach dem Jahresbeginn und zur jetzigen Veröffentlichung der Aufnahme nochmals die Vierte in der Fassung von 1878/1880. Sie bildete den Saisonauftakt der Kölner Philharmonie und deren FEL!X-Festivals mit diesmaligem Thema „Flandern“.

Bruckner im sogenannten Originalklang erfordert dazu neben entsprechenden, doch individuelleren Spielweisen als Minimalkonsens unter anderem die Darmsaiten der Streicher und epochengetreue Wiener Bläser in tieferer Stimmung. Also jene, die zum Beispiel Philippe Herreweghe mit seinem Orchestre des Champs-Élysées seit Jahrzehnten benutzt, zuvor mal Roger Norrington oder demnächst wieder Philipp von Steinaecker und zuletzt Concerto Köln zur Anwendung brachten. Und nun selbstverständlich durch Fundus oder Nachbauen-Lassen bei flämischer Anima Eterna auf der Bühne blitzten.
Neben dem Holz seien besonders die Wiener Hörner mit Ventilen (erstmals bei Bruckner in der Vierten) und die Ventilposaunen genannt. Trotz besagten Herreweghes sowie dann bald vieler weiterer Kollegen schien Bruckner dabei fast wie eine letzte Bastion moderner Wiedergabe der spätestens seit den 1940er Jahren kultivierten Musizierpraxis, dabei tut es auch gerade bei dem österreichischen „Monumentalerbauer“ der Symphonik gut wie Not, die gleichberechtigten Wege der historischen Informiertheit in konsequenterem und quantitativerem Maße zu gehen.
Wie unterschiedlich die Ergebnisse innerhalb der historisch-informierten Herangehensweise dann ganz natürlich durch die jeweils anders behandelten Spieltechniken und Dirigenteneinflüsse auch dort sind, offenbarten Anima Eterna und der zwei Tage zuvor direkt aus dem Bayreuther Graben angereiste Heras-Casado gleich mit den ersten Tönen Pierre-Antoine Tremblays Horns. Dessen notenwertliche Gleichmäßigkeit im Brucknerrhythmus stand in deutlicher Abgrenzung zum Weg Concerto Kölns sieben Wochen zurückliegender Interpretation der Vierten – freilich in deren Urfassung.
Mit weniger ausgeprägtem Portamento und stark reduzierter Phrasierungsdynamik des An- und Abschwellens fielen zudem weitere Abweichungen innerhalb der spielerischen Grundparameter auf, die in dieser Ausprägung – trotz der erheblichen Artikulationsdifferenzen der einzelnen fünf Hörner – näher an einer cleaneren, dezenter mit „herkömmlichen“ Erwartungen aufbrechenden Umsetzung lagen. Dafür stellte sich eine kompakte, durchaus dramatischere, leicht dunklere, einerseits durch Instrumente selbstredend üblich warme, zudem durch weniger Vibrato transparentere Klanglichkeit ein, deren Balance Heras-Casado vor allem bei den Trompeten des Öfteren korrigieren musste.
Jenem Teil des Blechs war ein besonderer Eifer inne, selbstverständlich erst recht im Scherzo und Finalsatz, in denen Stolz und Attacke, kämpferisch-flehender Nachdruck zu aufgedrehten, rigoros-kernigen Erhitzungszuständen typischer Tremoloorgien in generell angenehm zügig genommenen Tempi wurden. Solche, die in den von Konzertmeisterin Anne Katharina Schreiber, Heras-Casados Vertrauter vom Freiburger Barockorchester, angeführten Streichern die immer beherzte Selbstvertrauensbasis Anima Eternas hatten. Sie hüteten sich im Tutti glücklicherweise davor, ins triefende Pathetische umzuschlagen, selbst wenn gleichzeitig doch noch größere Steigerungen, Ausbrüche (bei den subito-Stellen) und damit unter Berücksichtigung der kleineren Streicherbesetzung berstendere Kulminationseffekte wünschenswert gewesen wären.
Daneben gelang es trefflich und im bisherigen Interpretationsvergleich betonter, Bruckners durchschimmernden Schmäh herauszustellen: im ersten und zweiten Satz mit sonnenklarer, optimistisch aufgestandener beziehungsweise choral- und marschschrittiger, singender Landburschigkeit; im zusammenführenden vierten – während erwähnten Nachdrucks – mit mal etwas charmegepflegter, gefälliger, aber überdies berechnend-abrupter Launigkeit. Eine symphonische Persönlichkeit, von der Anima Eterna Brugge und Heras-Casado ein farbiges, dosiertes Bild zeichneten.