Der österreichische Schriftsteller und Dramatiker Thomas Bernhard sei laut der in der Dissertation Thomas Bernhard im Dialog mit der Österreichischen Öffentlichkeit: zwischen Presse, Theater und Justiz festgehaltenen Konklusion des amerikanisch-österreichischen Assistenzprofessors für Deutsche Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften Joseph W. Moser „kein Agent Provocateur mit aktivistischen Neigungen als mehr ein Individualist und Künstler, der Österreichs politische, kulturelle und historische Identitäten herausfordernde Debatte anstieß.“ Jenem in seiner gewiss strikten, unbeugsamen und schonungslosen Art damit schon Aufsehen, Kritik und auch Faszination erregendem Bernhard widmete das Alte-Musik-Fest des Wiener Konzerthauses, Resonanzen, die 33. Edition. Dabei war es mit dem 94. Geburtstag des Verstorbenen konsequent schräg und gegen sonstige Konvention, runde oder halbrunde Jubiläen zum Anlass mottotragender Festivals zu machen, hasste der Literat schließlich solche Feierlichkeiten.

Ottavio Dantone © Giulia Papetti
Ottavio Dantone
© Giulia Papetti

Doch lässt Bernhards Roman Alte Meister, eben heuer ausgerufenes Thema, leichte Verbindung zur Musik sowie zu unserer Hingabe und Beschäftigung mit der Zeit schlagen. Und neben deren generell essenzieller Verbundenheit zum Geschriebenen nun speziell auch zum Konzert mit dem nach wie vor in Österreichs kompositorischer Heldenverehrung allzu vernachlässigten Francesco Bartolomeo Conti (mehr Conti bitte!) und dessen Serenata Il trionfo della Fama, in der Wien mit den kaiserlichen Tugenden von Ruhm, Tapferkeit, Herrlichkeit, Genius und Schicksal als Nabel der Welt hochlebt. Denn Bernhards Vita war einerseits überreich an Schicksalen, die er auch in Alte Meister verarbeitete; andererseits bestünde Interesse an seiner Konfrontationsmeinung zur geschichtlichen Einordnung des 1723 zum Namenstag Karls VI. nach vorheriger Bestellung als Böhmenkönig aufgeführten Werks, die einem so natürlich am Ende ganz selbst vorbehalten bleibt, die Planer jedoch interpretationswohlwissend und vorab einordnend mit „Habsburgerpropaganda“ überschrieben.

Nach Innsbruck letzten Sommer, wo Ottavio Dantone mit dem knapp 90-minütigen Conti-Stück in erster neuzeitlicher Gesamtpräsentation seine Einsetzung als musikalischer Leiter der dortigen Alte-Musik-Festwochen gab, sollte er es also auch beim kleineren Wiener Winterpendant an allerdings kompositions- und nun einmal herrscherhofhistorisch umso zentralerem Platze vorstellen. Zusammen selbstverständlich mit seinem Ensemble der Accademia Bizantina, die – obwohl am Abend die Barockpauken irgendwie verloren gingen, weshalb auf das Modell der bestenfalls spätklassischen Periode ausgewichen werden musste – in ihrer jederzeit geschätzten, schnieken, absolut verlässlichen Mélange aus grooviger Lässigkeit und schneidiger oder lieblich-affektgetränkter, rhythmischer Phrasierung Conti wirklich zum Nabel der Welt machte.

Nicht nur durch die extravagant-bizarre Sinfonia, derer anschließend die Festfanfaren für die Chöre der damals bekannten Kontinente und der ganzen Erde folgten, bei der György Vashegyis Purcell Choir aus Budapest fast mustergültig ABs artikulatorischen Spirit übernahm. Sondern neben der generellen Vokaluntermalung und dem Hervorbringen Contis harmonisch teils bernhardesk eigenwilligen, amüsierenden, raffinierten und melodiezaubernden Musikcharakters insbesondere durch zwei hinreißende Arien, die eine Welt für sich waren. Durch das Duett von Gloria und Genio, in dem die sehr delikat liegenden, dunkeltimbrierten, höchstkultivierten und mit leidenschaftlich-anmutiger Aura ausgestatteten Sopran- beziehungsweise Contraltostimmen Arianna Vendittellis und Benedetta Mazzucatos größtes Vergnügen bereiteten. Und durch die Valore-Arie „L’Asia crolla, Africa teme“, in der man konzentriert, anziehend und erfreut versank, als das Fagottduo Giulia Genini und Alessandro Nasello Christian Senn beinahe die Show seines staturreichen, nicht protzig angelegten, großgütigen, erhabenen, recht lichten, mitfühlenden und registerbreiten Baritons stahl.

Abgesehen vom zusätzlichen Duett hatten alle Allegorien zwei Arien, in denen sich ausgiebige Vendittelli und phrasierungskontrollierende Mazzucato schon anstrengungslos, betörend elegant und rhythmisch leicht tänzelnd empfahlen. Da Nicolò Balduccis Fama bei allen sprudelnden Verzierungen und auch leichtgängigen Huldigungen (final mit auf Karl VI. direkt titulierter „Licenza“) entgegen sonst gewohnter Counter-Entfaltungsklänge und Expression im Saal etwas stumpfer anmutete sowie Martin Vanbergs löblich jedes Drückende ausnehmender, eigentlich fließend-gönnerhafter Destino-Tenor insgesamt ein bisschen zurückhaltend und minimal intonationsneingetrübt war, schrammte Accademia Bizantinas und Dantones Aufführung eines alten Meisters letztlich nur hauchknapp an einer Krönung vorbei, an der selbst Oratorienliebhaber Thomas Bernhard sicher seine Freude gehabt hätte.

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