Händels Giulio Cesare hat Alexandria zum Schauplatz, geht aber 300 Jahre nach seiner Uraufführung gleich zweimal auf Reisen: von der Opéra de Monte-Carlo an die Wiener Staatsoper, und hinsichtlich der Inszenierung auf eine elegante Nilkreuzfahrt zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Chefin dieses Unterfangens ist Cecilia Bartoli in ihrer Doppelrolle als Intendantin und Primadonna der Gast-Kompanie, und sorgt einmal mehr für kollektives Entzücken und Gänsehautmomente.
Wer welche Motive in Cesare hat, fasst ein witziger Abspann in der Art eines Stummfilms zusammen, davor kann man die gewundene Handlung auf das Wichtigste reduzieren. Der große Giulio Cesare wird bei seiner Ankunft in Ägypten bejubelt und erhält mit der Leiche des von ihm verfolgten Pompeo ein ebenso unerwartetes wie problematisches Gastgeschenk durch Achilla, den Berater des Tolomeo.
Allerdings kommt Pompeos Tod dem römischen Imperator gelegen, und dem königlichen ägyptischen Geschwisterpaar Cleopatra und Tolomeo erst recht, denn jede*r sieht nun eine Chance auf Alleinherrschaft unter Cesares Protektion. Pompeos Witwe Cornelia ist jedoch alles andere als lustig und schwört mit ihrem Sohn Sesto Rache. Es folgt eine Kurzfassung des Alexandrinischen Kriegs, in dem sich Cesare und Cleopatra nach Rückschlägen durchsetzen.
Die Inszenierung konzentriert sich allerdings weniger auf die Handlung, sondern auf die Einbettung der grandiosen Da-Capo-Arien in das glamourös-entspannte Leben auf einem Nil-Kreuzer namens „Tolomeo“ (später „Cesare”). Da wird etwa Cesares erster Auftritt zum Staatsbesuch samt Pressekonferenz und singt Achilla sein Liebeslied an Cornelia zu Klängen aus dem Grammophon,. Naheliegend ist daher, gleich mehrere Arien als Bord-Entertainment zu zeigen. So greift etwa Cesare zum Mikrofon und gibt sich wie ein amerikanischer Entertainer des vergangenen Jahrhunderts. „Se infiorito“ wird gar zu einem witzigen Duett mit einem Sologeiger.
Es wäre allerdings viel zu kurz gegriffen, diese Regiearbeit auf die noble, aber niemals überladene Optik und in die effektvolle Platzierung der Musiknummern zu reduzieren. Wo andere Regisseure auf derben Klamauk setzen, punktet Davide Livermore mit feinsinnigem Humor und zeigt Dauerthemen des Politikerlebens, etwa die linkischen Begrüßungszeremonien bei Gipfeltreffen.
Besonders gelungen ist in dieser Hinsicht die Umsetzung von Cesares Arie „Va tacito e nacosto“. Die populäre Nummer vom geschickten Jäger, der sich seiner Beute still und leise nähert, entwickelt sich in Livermores Personenregie vom fröhlichen Jagdlied mit Horn zum Einblick in Cesares machtbewusste und teilweise gewaltbereite Gedankenwelt, in der auf der einen Seite die Römer, auf der anderen die Fez-tragende ägyptische Dienerschaft steht – der Regisseur zeigt die seinerzeitigen Realitäten deutlich und entlarvt gerade dadurch das schwere Erbe des Kolonialismus.
Das Traumschiff bekommt im Laufe des Abends ein paar Breitseiten ab, womit das überwiegend mit Wolken-, Wasser- und Nil-Landschaftsbildern arbeitende Videoteam von D-Wok auf das Bild eines gestrandeten Schiffes wechselt und passend Cesares berühmtes Rezitativ und Arie „Dall’ondoso periglio/Aure, deh, per pietà“ einleitet. Dieses gelang Countertenor Carlo Vistoli perfekt, wie er insgesamt – nach einem etwas verhaltenen Start – eine schauspielerisch launige und sängerisch tadellose Leistung zeigte. Seine Stimme ist eher hell und leicht, was aber für brillanten Koloraturen wie in „Al lampo dell’armi“ von Vorteil ist. Dem sympathischen Eindruck zusätzlich geholfen haben weiße Dinner-Jackets und das Spiel mit dem Latin Lover Klischee.
Mit Cecilia Bartoli auf der Bühne stehen zu dürfen, muss eine großartige Erfahrung für junge Sänger sein, denn als Stimme und treibende Kraft hinter dem Alte Musik-Revival der letzten Jahrzehnte ist sie so legendär wie die von ihr verkörperte Cleopatra selbst. Nach überstandener Corona-Infektion war sie angesagt, gewann aber im Laufe des ersten Akts an Lautstärke und Geläufigkeit, sodass sie vor der Pause mit einem unglaublich berührenden „Se pietà“ beeindruckte, nachdem sie zuvor schon Cesare und Publikum mit „V’adoro pupille becirct hatte.

Max Emanuel Cenčić als Tolomeo und Péter Kálmán als Achilla entwickeln sich im Laufe der Handlung von Diplomaten zusehends zu Schurken. Der Wiener Lokalmatador liefert seine Countertenor-Arien in gewohnter Präzision und fasziniert darstellerisch mit einer Mischung aus Extravaganz und klugem Understatement, während sich sich der ungarische Bassbariton mit bemerkenswerter Geläufigkeit und wahren wie sinnlosen Gefühlen für Cornelia in Szene setzt, die sein Chef wohl nur aus Machtgier begehrt.
Eine stupende Leistung liefert Kangmin Justin Kim als Sesto, der seinen Countertenor-Kollegen in puncto Koloratur um nichts nachsteht, und in „Cara speme“ auch Legatokultur zelebrieren darf. Bei „Son nata a lagrimar“ mit der nicht minder beeindruckenden Altistinnen-Grande Dame Sara Mingardo als Cornelia muss er teilweise höher als jene singen, und nicht nur dieser Effekt macht es zu einem der schönsten Duette der gesamten Opernliteratur. Leider irritierten der ungewohnte Einsatz von Sforzato im Orchester sowie eine handfeste Ohrfeige, wo man als Publikum üblicherweise zum Taschentuch greift.
Davon abgesehen, dirigierte Gianluca Capuano Les Musiciens du Prince-Monaco, den Chor der Gastkompanie und seine Solistenriege mit perfekt abgestimmten Tempi – für die exorbitanten Koloraturen eine unabdingbare Voraussetzung und doch keine Selbstverständlichkeit. Viel Begeisterung daher für alle Beteiligten bis hin zu Standing Ovations.