Der Chefdirigent des WDR Sinfonieorchesters, Cristian Măcelaru, muss sich im herkömmlichen Sinne der Redewendung gar nicht mehr vorstellen. Er ist in Köln angekommen, auch wenn er im steten Wechsel zu seiner neuen gleichintensiven Verpflichtung beim Orchestre National de France nach Paris pendelt. Dennoch wählte er ein Programm für das Konzert aus, das sich exakt wie sein Lebenslauf liest: György Ligetis Concert Românesc als Ausweis seiner Herkunft aus der musikalischen Großfamilie in Timişoara, Erich Wolfgang Korngolds Violinkonzert als Ausbildungs- und Karrierestationspunkte als Geigenstudent, Konzertmeister und Orchesterleiter in den USA, dessen Weg sich eben selbst wie ein in Hollywood produzierter Streifen vom erträumten Aufstiegsversprechen anhört, und Robert Schumanns Rheinische Symphonie, deren Bläsermotiv – das Rufzeichen der Kölner Philharmonie – den Blick auf seine jetzige Arbeitsposition lenkt.
Plattitüdenhaft gesprochen ist die Musik Heimat und Heimat die Musik. Sie spiegelt meistens Prägungen und Erfahrungen des Lebens wider, neben Măcelarus als Interpret ursprünglich natürlich die des Komponisten. Nicht anders bei den drei Werken, begonnen mit dem Concert Românesc, das der ebenso in Rumänien geborene und später beim WDR in Köln bestens bekannte Ligeti – wie er eigens dokumentierte – aus Liebe zur rumänischen Kultur und Volksmusik (der schrägen Dorfkapellen) in Zeiten der kommunistischen Sozrel-Diktatur im heimischen Ungarn schrieb. Das viersätzige, gezwungenermaßen tonal ziemlich moderate, damals dennoch sofort verbotene, Stück lässt dabei die mit Heimat verbundenen Schwingungen von Wehmut und Freude in kontraststarker Weise aufkommen. Măcelaru verstand es, sie mit den Dynamiken und spielpraktisch angewiesenen Farben seines enthusiastischen Klangkörpers in landschaftliche Postkartenansichten und kulturelle Mentalitätseindrücke zu transformieren, bei denen mit den Naturschwelgereien, Bergechos und kühlen raueren Winden genauso keine halben Sachen gemacht wurden wie mit den Temperamentphasen der Bedrückung und ausgeprägten Wildheit. Letztere kulminierte nach einem zuvor schon angestimmten quirlig-kecken Tänzchen in einem folkloristischen Gelage voller Spaß und rhythmischer Energie, das im aufgeheizten Stimmungsmilieu der streicherisch exzessiven Gaudi unterschiedlichster Formationen, der Trommelschläge und den Bartók-Pizzicati der Bässe einen großen Knall heraufbeschwor.
Ganz viele Höhepunkte, die im vollen Klang des Tutti wie die typischen Auflösungen bildemotionaler Haupthandlungsmomente wirken, hatte auch Korngolds Violinkonzert zu bieten. Darin ließ Solist Renaud Capuçon seine Expressivität zusätzlich über Bogen und Finger, die in manchmal sensationell abgestuften Vibratospielereien bei längeren Noten auf dem höchsten Ton eine besonders erfreuliche Hörüberraschung bereithielten, ebenfalls in die unteren Körpergefilde und Extremitäten leiten, als er seinen Rücken zu den virtuosen Aufgängen und Läufen wie ein engagierter Leichtathlet weit nach hinten bog und ansonsten in seiner animierenden und Rhythmus vorschießenden Präsenz mit den Beinen ausschlug. Mutete die Romance bei allem Schmachten, Herzziehen und Sich-ins-Zeug-legen dank artikulatorisch raffinierter Intensität zum Glück nicht wie eine äußerlich manieriert erscheinende Szenemacherei ob einigen Kitsches an, hatte Capuçon freie Bahn im turbulenten, teils scheinbar gleichsam volksweisenentlehnten Abenteuer des Allegro assai vivace. Darin fing Măcelaru – die Schlusscoda des ersten Satzes war ja schon ein Spektakel – die verlässlich wirkenden Effekte des cineastischen Zünderbaukastens in hell aufreißendem Licht ein, so dass er die Equipe sämtlicher Gerätesportler probat über die Fine-Ziellinie führte, um sich dort den staunenden Beifallszöllen des – nunmal wirklich vor den Leinwänden (daheim) sitzenden – Publikums gewiss zu sein.
Davon profitierte zudem Schumanns Symphonie, die in ihrer aufreibend dramatischen Wohltat beinahe filmreif war und mit Effet, fulminantem Bläserglanz, und starken Pauken beflügelte. Zwar verhindert die nicht-antiphone Aufstellung des WDR Sinfonieorchesters stets noch heftigere Wirkkräfte von Wellendynamik, doch hielt sich Măcelaru immerhin an die historischen Satzvorschriften und somit an die lebhafte, lieblich-knackige, feierlich-beruhigende, imposante und durch Hoffnung und Vision sinnvorgegebene Triumphqualität Schumanns. Er verleitete in seinen Gesten die Musiker dazu, nicht an Feuer sowie persönlicher Selbstsicherheit nachzulassen und das philharmonische Klingelsignal ernstzunehmen: Auftritt und Ausdruck bedeutet hier nämlich tatsächlich Heimat, Musik, Leben.
Jens Klier durfte als Mitglied der Presse die Aufzeichnung des Livestreams in der Kölner Philharmonie besuchen.